Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Ruf: "Mayenfeld!" Es sprang von seinem Sitz auf, und
dasselbe that Sebastian, der auch überrascht worden war.
Jetzt standen sie draußen, der Koffer mit ihnen, und der
Bahnzug pfiff weiter in's Thal hinein. Sebastian sah ihm
wehmüthig nach, denn er wäre viel lieber so sicher und ohne
Mühe weitergereist, als daß er nun eine Fußpartie unter¬
nehmen sollte, die dazu noch mit einer Bergbesteigung enden
mußte, die sehr beschwerlich und dazu gefahrvoll sein konnte
in diesem Lande, wo doch Alles noch halb wild war, wie
Sebastian annahm. Er schaute daher sehr vorsichtig um
sich, wen er etwa berathen könnte über den sichersten Weg
nach dem "Dörfli". Unweit des kleinen Stationsgebäudes
stand ein kleiner Leiterwagen mit einem magern Rößlein
davor; auf diesen wurden von einem breitschultrigen Manne
ein paar große Säcke aufgeladen, die mit der Bahn her¬
gebracht worden waren. Sebastian trat zu ihm heran und
brachte seine Frage nach dem sichersten Weg zum Dörfli vor.

"Hier sind alle Wege sicher", war die kurze Ant¬
wort.

Jetzt fragte Sebastian nach dem besten Wege, auf dem
man gehen könne, ohne in die Abgründe zu stürzen, und
auch wie man einen Koffer nach dem betreffenden Dörfli
befördern könnte. Der Mann schaute nach dem Koffer hin
und maß ihn ein wenig mit den Augen; dann erklärte er,
wenn das Ding nicht zu schwer sei, so wolle er es auf
seinen Wagen nehmen, da er selbst nach dem Dörfli fahre,

Ruf: „Mayenfeld!“ Es ſprang von ſeinem Sitz auf, und
dasſelbe that Sebaſtian, der auch überraſcht worden war.
Jetzt ſtanden ſie draußen, der Koffer mit ihnen, und der
Bahnzug pfiff weiter in's Thal hinein. Sebaſtian ſah ihm
wehmüthig nach, denn er wäre viel lieber ſo ſicher und ohne
Mühe weitergereiſt, als daß er nun eine Fußpartie unter¬
nehmen ſollte, die dazu noch mit einer Bergbeſteigung enden
mußte, die ſehr beſchwerlich und dazu gefahrvoll ſein konnte
in dieſem Lande, wo doch Alles noch halb wild war, wie
Sebaſtian annahm. Er ſchaute daher ſehr vorſichtig um
ſich, wen er etwa berathen könnte über den ſicherſten Weg
nach dem „Dörfli“. Unweit des kleinen Stationsgebäudes
ſtand ein kleiner Leiterwagen mit einem magern Rößlein
davor; auf dieſen wurden von einem breitſchultrigen Manne
ein paar große Säcke aufgeladen, die mit der Bahn her¬
gebracht worden waren. Sebaſtian trat zu ihm heran und
brachte ſeine Frage nach dem ſicherſten Weg zum Dörfli vor.

„Hier ſind alle Wege ſicher“, war die kurze Ant¬
wort.

Jetzt fragte Sebaſtian nach dem beſten Wege, auf dem
man gehen könne, ohne in die Abgründe zu ſtürzen, und
auch wie man einen Koffer nach dem betreffenden Dörfli
befördern könnte. Der Mann ſchaute nach dem Koffer hin
und maß ihn ein wenig mit den Augen; dann erklärte er,
wenn das Ding nicht zu ſchwer ſei, ſo wolle er es auf
ſeinen Wagen nehmen, da er ſelbſt nach dem Dörfli fahre,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0214" n="204"/>
Ruf: &#x201E;Mayenfeld!&#x201C; Es &#x017F;prang von &#x017F;einem Sitz auf, und<lb/>
das&#x017F;elbe that Seba&#x017F;tian, der auch überra&#x017F;cht worden war.<lb/>
Jetzt &#x017F;tanden &#x017F;ie draußen, der Koffer mit ihnen, und der<lb/>
Bahnzug pfiff weiter in's Thal hinein. Seba&#x017F;tian &#x017F;ah ihm<lb/>
wehmüthig nach, denn er wäre viel lieber &#x017F;o &#x017F;icher und ohne<lb/>
Mühe weitergerei&#x017F;t, als daß er nun eine Fußpartie unter¬<lb/>
nehmen &#x017F;ollte, die dazu noch mit einer Bergbe&#x017F;teigung enden<lb/>
mußte, die &#x017F;ehr be&#x017F;chwerlich und dazu gefahrvoll &#x017F;ein konnte<lb/>
in die&#x017F;em Lande, wo doch Alles noch halb wild war, wie<lb/>
Seba&#x017F;tian annahm. Er &#x017F;chaute daher &#x017F;ehr vor&#x017F;ichtig um<lb/>
&#x017F;ich, wen er etwa berathen könnte über den &#x017F;icher&#x017F;ten Weg<lb/>
nach dem &#x201E;Dörfli&#x201C;. Unweit des kleinen Stationsgebäudes<lb/>
&#x017F;tand ein kleiner Leiterwagen mit einem magern Rößlein<lb/>
davor; auf die&#x017F;en wurden von einem breit&#x017F;chultrigen Manne<lb/>
ein paar große Säcke aufgeladen, die mit der Bahn her¬<lb/>
gebracht worden waren. Seba&#x017F;tian trat zu ihm heran und<lb/>
brachte &#x017F;eine Frage nach dem &#x017F;icher&#x017F;ten Weg zum Dörfli vor.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hier &#x017F;ind alle Wege &#x017F;icher&#x201C;, war die kurze Ant¬<lb/>
wort.</p><lb/>
        <p>Jetzt fragte Seba&#x017F;tian nach dem be&#x017F;ten Wege, auf dem<lb/>
man gehen könne, ohne in die Abgründe zu &#x017F;türzen, und<lb/>
auch wie man einen Koffer nach dem betreffenden Dörfli<lb/>
befördern könnte. Der Mann &#x017F;chaute nach dem Koffer hin<lb/>
und maß ihn ein wenig mit den Augen; dann erklärte er,<lb/>
wenn das Ding nicht zu &#x017F;chwer &#x017F;ei, &#x017F;o wolle er es auf<lb/>
&#x017F;einen Wagen nehmen, da er &#x017F;elb&#x017F;t nach dem Dörfli fahre,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0214] Ruf: „Mayenfeld!“ Es ſprang von ſeinem Sitz auf, und dasſelbe that Sebaſtian, der auch überraſcht worden war. Jetzt ſtanden ſie draußen, der Koffer mit ihnen, und der Bahnzug pfiff weiter in's Thal hinein. Sebaſtian ſah ihm wehmüthig nach, denn er wäre viel lieber ſo ſicher und ohne Mühe weitergereiſt, als daß er nun eine Fußpartie unter¬ nehmen ſollte, die dazu noch mit einer Bergbeſteigung enden mußte, die ſehr beſchwerlich und dazu gefahrvoll ſein konnte in dieſem Lande, wo doch Alles noch halb wild war, wie Sebaſtian annahm. Er ſchaute daher ſehr vorſichtig um ſich, wen er etwa berathen könnte über den ſicherſten Weg nach dem „Dörfli“. Unweit des kleinen Stationsgebäudes ſtand ein kleiner Leiterwagen mit einem magern Rößlein davor; auf dieſen wurden von einem breitſchultrigen Manne ein paar große Säcke aufgeladen, die mit der Bahn her¬ gebracht worden waren. Sebaſtian trat zu ihm heran und brachte ſeine Frage nach dem ſicherſten Weg zum Dörfli vor. „Hier ſind alle Wege ſicher“, war die kurze Ant¬ wort. Jetzt fragte Sebaſtian nach dem beſten Wege, auf dem man gehen könne, ohne in die Abgründe zu ſtürzen, und auch wie man einen Koffer nach dem betreffenden Dörfli befördern könnte. Der Mann ſchaute nach dem Koffer hin und maß ihn ein wenig mit den Augen; dann erklärte er, wenn das Ding nicht zu ſchwer ſei, ſo wolle er es auf ſeinen Wagen nehmen, da er ſelbſt nach dem Dörfli fahre,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/214
Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/214>, abgerufen am 23.11.2024.