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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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"Na, schon wieder was angestellt?" fragte Sebastian
lustig; als er aber Heidi, das sich nicht rührte, recht an¬
sah, klopfte er ihm freundlich auf die Schulter und sagte
tröstend: "Bah! bah! das muß sich das Mamsellchen nicht
so zu Herzen nehmen, nur lustig, das ist die Hauptsache!
Sie hat mir eben jetzt auch fast ein Loch in den Kopf ge¬
rannt, aber nur nicht einschüchtern lassen! Na? immer
noch auf demselben Fleck? Wir müssen hinauf, sie hat's
befohlen."

Heidi ging nun die Treppe hinauf, aber langsam und
leise und gar nicht wie sonst seine Art war. Das that
dem Sebastian leid zu sehen; er ging hinter dem Heidi her
und sprach ermuthigende Worte zu ihm: "Nur nicht ab¬
geben! Nur nicht traurig werden! Nur immer tapfer drauf
zu! Wir haben ja ein ganz vernünftiges Mamsellchen, hat
noch gar nie geweint, seit es bei uns ist, sonst weinen sie
ja zwölf Mal im Tag in dem Alter, das kennt man. Die
Kätzchen sind auch lustig droben, die springen auf dem ganzen
Estrich herum und thun wie närrisch. Nachher gehen wir
'mal zusammen hinauf und schauen ihnen zu, wenn die
Dame drinnen wieder weg ist, ja?"

Heidi nickte ein wenig mit dem Kopf, aber so freudlos,
daß es dem Sebastian recht zu Herzen ging und er ganz
theilnehmend dem Heidi nachschaute, wie es nach seinem
Zimmer hinschlich.

Am Abendessen heute sagte Fräulein Rottenmeier kein

„Na, ſchon wieder was angeſtellt?“ fragte Sebaſtian
luſtig; als er aber Heidi, das ſich nicht rührte, recht an¬
ſah, klopfte er ihm freundlich auf die Schulter und ſagte
tröſtend: „Bah! bah! das muß ſich das Mamſellchen nicht
ſo zu Herzen nehmen, nur luſtig, das iſt die Hauptſache!
Sie hat mir eben jetzt auch faſt ein Loch in den Kopf ge¬
rannt, aber nur nicht einſchüchtern laſſen! Na? immer
noch auf demſelben Fleck? Wir müſſen hinauf, ſie hat's
befohlen.“

Heidi ging nun die Treppe hinauf, aber langſam und
leiſe und gar nicht wie ſonſt ſeine Art war. Das that
dem Sebaſtian leid zu ſehen; er ging hinter dem Heidi her
und ſprach ermuthigende Worte zu ihm: „Nur nicht ab¬
geben! Nur nicht traurig werden! Nur immer tapfer drauf
zu! Wir haben ja ein ganz vernünftiges Mamſellchen, hat
noch gar nie geweint, ſeit es bei uns iſt, ſonſt weinen ſie
ja zwölf Mal im Tag in dem Alter, das kennt man. Die
Kätzchen ſind auch luſtig droben, die ſpringen auf dem ganzen
Eſtrich herum und thun wie närriſch. Nachher gehen wir
'mal zuſammen hinauf und ſchauen ihnen zu, wenn die
Dame drinnen wieder weg iſt, ja?“

Heidi nickte ein wenig mit dem Kopf, aber ſo freudlos,
daß es dem Sebaſtian recht zu Herzen ging und er ganz
theilnehmend dem Heidi nachſchaute, wie es nach ſeinem
Zimmer hinſchlich.

Am Abendeſſen heute ſagte Fräulein Rottenmeier kein

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[135/0145] „Na, ſchon wieder was angeſtellt?“ fragte Sebaſtian luſtig; als er aber Heidi, das ſich nicht rührte, recht an¬ ſah, klopfte er ihm freundlich auf die Schulter und ſagte tröſtend: „Bah! bah! das muß ſich das Mamſellchen nicht ſo zu Herzen nehmen, nur luſtig, das iſt die Hauptſache! Sie hat mir eben jetzt auch faſt ein Loch in den Kopf ge¬ rannt, aber nur nicht einſchüchtern laſſen! Na? immer noch auf demſelben Fleck? Wir müſſen hinauf, ſie hat's befohlen.“ Heidi ging nun die Treppe hinauf, aber langſam und leiſe und gar nicht wie ſonſt ſeine Art war. Das that dem Sebaſtian leid zu ſehen; er ging hinter dem Heidi her und ſprach ermuthigende Worte zu ihm: „Nur nicht ab¬ geben! Nur nicht traurig werden! Nur immer tapfer drauf zu! Wir haben ja ein ganz vernünftiges Mamſellchen, hat noch gar nie geweint, ſeit es bei uns iſt, ſonſt weinen ſie ja zwölf Mal im Tag in dem Alter, das kennt man. Die Kätzchen ſind auch luſtig droben, die ſpringen auf dem ganzen Eſtrich herum und thun wie närriſch. Nachher gehen wir 'mal zuſammen hinauf und ſchauen ihnen zu, wenn die Dame drinnen wieder weg iſt, ja?“ Heidi nickte ein wenig mit dem Kopf, aber ſo freudlos, daß es dem Sebaſtian recht zu Herzen ging und er ganz theilnehmend dem Heidi nachſchaute, wie es nach ſeinem Zimmer hinſchlich. Am Abendeſſen heute ſagte Fräulein Rottenmeier kein

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/145>, abgerufen am 02.05.2024.