Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Meine liebe Gräfin! Sie sind äusserst
billig, da sie zur Wiedervergeltung einer
That, die ich bisher immer noch mit dank-
barem Herzen ehre, eine Sache fordern, die
ihnen die strengste Gerechtigkeit nicht einmal
verweigern könnte. Es steht ihnen vollkom-
men frei, ferner in diesem Lande zu woh-
nen, oder es zu verlassen. Im erstern Fall
wird meine Hochachtung gegen sie fortdauern,
im letztern werden sie solche ungetheilt mit
sich nehmen. Aber dann hoffe ich ganz sicher,
daß sie nicht ohne Abschied scheiden, daß sie
durch eine neue, und grössere Bitte mich in
Stand setzen, sie nicht mit dem Bewustsein
entlassen zu müssen, daß ich ihre grosse
Schuldnerin bleibe. Kommen sie, wenn sie
wollen, unter uns findet keine Etikette statt,
wir haben beide am meisten verlohren, uns
muß es auch erlaubt sein, ungehindert mit
einander weinen zu können.

L 2

Meine liebe Graͤfin! Sie ſind aͤuſſerſt
billig, da ſie zur Wiedervergeltung einer
That, die ich bisher immer noch mit dank-
barem Herzen ehre, eine Sache fordern, die
ihnen die ſtrengſte Gerechtigkeit nicht einmal
verweigern koͤnnte. Es ſteht ihnen vollkom-
men frei, ferner in dieſem Lande zu woh-
nen, oder es zu verlaſſen. Im erſtern Fall
wird meine Hochachtung gegen ſie fortdauern,
im letztern werden ſie ſolche ungetheilt mit
ſich nehmen. Aber dann hoffe ich ganz ſicher,
daß ſie nicht ohne Abſchied ſcheiden, daß ſie
durch eine neue, und groͤſſere Bitte mich in
Stand ſetzen, ſie nicht mit dem Bewuſtſein
entlaſſen zu muͤſſen, daß ich ihre groſſe
Schuldnerin bleibe. Kommen ſie, wenn ſie
wollen, unter uns findet keine Etikette ſtatt,
wir haben beide am meiſten verlohren, uns
muß es auch erlaubt ſein, ungehindert mit
einander weinen zu koͤnnen.

L 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0173" n="163"/>
        <p>Meine liebe Gra&#x0364;fin! Sie &#x017F;ind a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t<lb/>
billig, da &#x017F;ie zur Wiedervergeltung einer<lb/>
That, die ich bisher immer noch mit dank-<lb/>
barem Herzen ehre, eine Sache fordern, die<lb/>
ihnen die &#x017F;treng&#x017F;te Gerechtigkeit nicht einmal<lb/>
verweigern ko&#x0364;nnte. Es &#x017F;teht ihnen vollkom-<lb/>
men frei, ferner in die&#x017F;em Lande zu woh-<lb/>
nen, oder es zu verla&#x017F;&#x017F;en. Im er&#x017F;tern Fall<lb/>
wird meine Hochachtung gegen &#x017F;ie fortdauern,<lb/>
im letztern werden &#x017F;ie &#x017F;olche ungetheilt mit<lb/>
&#x017F;ich nehmen. Aber dann hoffe ich ganz &#x017F;icher,<lb/>
daß &#x017F;ie nicht ohne Ab&#x017F;chied &#x017F;cheiden, daß &#x017F;ie<lb/>
durch eine neue, und gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Bitte mich in<lb/>
Stand &#x017F;etzen, &#x017F;ie nicht mit dem Bewu&#x017F;t&#x017F;ein<lb/>
entla&#x017F;&#x017F;en zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß ich ihre gro&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Schuldnerin bleibe. Kommen &#x017F;ie, wenn &#x017F;ie<lb/>
wollen, unter uns findet keine Etikette &#x017F;tatt,<lb/>
wir haben beide am mei&#x017F;ten verlohren, uns<lb/>
muß es auch erlaubt &#x017F;ein, ungehindert mit<lb/>
einander weinen zu ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0173] Meine liebe Graͤfin! Sie ſind aͤuſſerſt billig, da ſie zur Wiedervergeltung einer That, die ich bisher immer noch mit dank- barem Herzen ehre, eine Sache fordern, die ihnen die ſtrengſte Gerechtigkeit nicht einmal verweigern koͤnnte. Es ſteht ihnen vollkom- men frei, ferner in dieſem Lande zu woh- nen, oder es zu verlaſſen. Im erſtern Fall wird meine Hochachtung gegen ſie fortdauern, im letztern werden ſie ſolche ungetheilt mit ſich nehmen. Aber dann hoffe ich ganz ſicher, daß ſie nicht ohne Abſchied ſcheiden, daß ſie durch eine neue, und groͤſſere Bitte mich in Stand ſetzen, ſie nicht mit dem Bewuſtſein entlaſſen zu muͤſſen, daß ich ihre groſſe Schuldnerin bleibe. Kommen ſie, wenn ſie wollen, unter uns findet keine Etikette ſtatt, wir haben beide am meiſten verlohren, uns muß es auch erlaubt ſein, ungehindert mit einander weinen zu koͤnnen. L 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/173
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/173>, abgerufen am 22.11.2024.