Alle Hofleute staunten, als sich kurz nachher die Gräfin R-- bei der Fürstin mel- den ließ, aber alle staunten noch weit mehr, als sie sogleich vorgelassen wurde, und nach einer kurzen Unterredung, die Fürstin mit ihr Hand in Hand aus dem Kabinete trat, sie in aller Gegenwart Frenndin nannte; mit ächter Zärtlichkeit umarmte, ihr die glücklich- ste Reise, und für die Zukunft die ruhigsten Tage wünschte. Diese ausserordentliche Leut- seligkeit der Fürstin war nicht Verstellung, war ächter Lohn, welchen sie der Gräfin zollte.
Als diese zu ihr ins Kabinet trat, dankte sie ihr mit einer Wärme, die ihr Herz rührte, und bat nochmals, daß sie das Land verlas- sen dürfe. Die Fürstin gewährte ihr solches aufs neue, forderte aber ausdrücklich, daß sie sich eine grössere Gefälligkeit von ihr erbit- ten möge. Wohl dann, sprach die Gräfin,
Alle Hofleute ſtaunten, als ſich kurz nachher die Graͤfin R— bei der Fuͤrſtin mel- den ließ, aber alle ſtaunten noch weit mehr, als ſie ſogleich vorgelaſſen wurde, und nach einer kurzen Unterredung, die Fuͤrſtin mit ihr Hand in Hand aus dem Kabinete trat, ſie in aller Gegenwart Frenndin nannte; mit aͤchter Zaͤrtlichkeit umarmte, ihr die gluͤcklich- ſte Reiſe, und fuͤr die Zukunft die ruhigſten Tage wuͤnſchte. Dieſe auſſerordentliche Leut- ſeligkeit der Fuͤrſtin war nicht Verſtellung, war aͤchter Lohn, welchen ſie der Graͤfin zollte.
Als dieſe zu ihr ins Kabinet trat, dankte ſie ihr mit einer Waͤrme, die ihr Herz ruͤhrte, und bat nochmals, daß ſie das Land verlaſ- ſen duͤrfe. Die Fuͤrſtin gewaͤhrte ihr ſolches aufs neue, forderte aber ausdruͤcklich, daß ſie ſich eine groͤſſere Gefaͤlligkeit von ihr erbit- ten moͤge. Wohl dann, ſprach die Graͤfin,
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Alle Hofleute ſtaunten, als ſich kurz
nachher die Graͤfin R— bei der Fuͤrſtin mel-
den ließ, aber alle ſtaunten noch weit mehr,
als ſie ſogleich vorgelaſſen wurde, und nach
einer kurzen Unterredung, die Fuͤrſtin mit
ihr Hand in Hand aus dem Kabinete trat,
ſie in aller Gegenwart Frenndin nannte; mit
aͤchter Zaͤrtlichkeit umarmte, ihr die gluͤcklich-
ſte Reiſe, und fuͤr die Zukunft die ruhigſten
Tage wuͤnſchte. Dieſe auſſerordentliche Leut-
ſeligkeit der Fuͤrſtin war nicht Verſtellung,
war aͤchter Lohn, welchen ſie der Graͤfin
zollte.
Als dieſe zu ihr ins Kabinet trat, dankte
ſie ihr mit einer Waͤrme, die ihr Herz ruͤhrte,
und bat nochmals, daß ſie das Land verlaſ-
ſen duͤrfe. Die Fuͤrſtin gewaͤhrte ihr ſolches
aufs neue, forderte aber ausdruͤcklich, daß ſie
ſich eine groͤſſere Gefaͤlligkeit von ihr erbit-
ten moͤge. Wohl dann, ſprach die Graͤfin,
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/174>, abgerufen am 22.11.2024.
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