Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
verwahrt wurde. Gedanken des Selbstmordes be- schäftigten den folgenden Tag ihre Seele, würden wahrscheinlich gesiegt haben, wenn nicht die Erin- nerung an das Kind, welches sie unter ihrem Herzen trug, diesen schrecklichen Entschluß ver- nichtet, sie wenigstens bis zu seiner Geburt zur Ausdauer ermahnt hätte. Am Abende, der diesem quaalvollen Tage folg- te, ward sie nach einem verschloßnen Wagen ge- führt, ein altes Weib und zwei Mönche nahmen neben ihr Platz. Das Weib war zu ihrer Bedie- nung bestimmt, die Mönche wahrscheinlich zu ih- ren Wächtern, denn sie folgten ihr überall, und übernachteten auf der Reise, die sechs Tage dauer- te, meistens nur in Klöstern, wo Karoline mit ihrer Wächterin in ein besonderes Zimmer versperrt wurde. Sie hatte wenig Geld und keine Kostbar- keiten bei sich, nur den Ring, welchen ihr die gü- tige Fürstin schenkte, hatte sie stets heilig aufbe- wahrt, wollte ihn, als den Beweis ihrer unver- letzten Treue derselben vorzeigen, und verbarg ihn jetzt zur Nachtszeit sorgfältig in die Falten ihres Unterrocks, weil überdieß Friedrichs Name darein gegraben war, und er außer dem Kinde, das sie unter ihrem Herzen trug, das einzige Andenken war, welches ihr Noth und Zufall nicht geraubt hatte. Sie sank in eine anhaltende Ohnmacht, als die hartherzigen Mönche ihr am Ende der Reise D 2
verwahrt wurde. Gedanken des Selbſtmordes be- ſchaͤftigten den folgenden Tag ihre Seele, wuͤrden wahrſcheinlich geſiegt haben, wenn nicht die Erin- nerung an das Kind, welches ſie unter ihrem Herzen trug, dieſen ſchrecklichen Entſchluß ver- nichtet, ſie wenigſtens bis zu ſeiner Geburt zur Ausdauer ermahnt haͤtte. Am Abende, der dieſem quaalvollen Tage folg- te, ward ſie nach einem verſchloßnen Wagen ge- fuͤhrt, ein altes Weib und zwei Moͤnche nahmen neben ihr Platz. Das Weib war zu ihrer Bedie- nung beſtimmt, die Moͤnche wahrſcheinlich zu ih- ren Waͤchtern, denn ſie folgten ihr uͤberall, und uͤbernachteten auf der Reiſe, die ſechs Tage dauer- te, meiſtens nur in Kloͤſtern, wo Karoline mit ihrer Waͤchterin in ein beſonderes Zimmer verſperrt wurde. Sie hatte wenig Geld und keine Koſtbar- keiten bei ſich, nur den Ring, welchen ihr die guͤ- tige Fuͤrſtin ſchenkte, hatte ſie ſtets heilig aufbe- wahrt, wollte ihn, als den Beweis ihrer unver- letzten Treue derſelben vorzeigen, und verbarg ihn jetzt zur Nachtszeit ſorgfaͤltig in die Falten ihres Unterrocks, weil uͤberdieß Friedrichs Name darein gegraben war, und er außer dem Kinde, das ſie unter ihrem Herzen trug, das einzige Andenken war, welches ihr Noth und Zufall nicht geraubt hatte. Sie ſank in eine anhaltende Ohnmacht, als die hartherzigen Moͤnche ihr am Ende der Reiſe D 2
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verwahrt wurde. Gedanken des Selbſtmordes be-
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wahrſcheinlich geſiegt haben, wenn nicht die Erin-
nerung an das Kind, welches ſie unter ihrem
Herzen trug, dieſen ſchrecklichen Entſchluß ver-
nichtet, ſie wenigſtens bis zu ſeiner Geburt zur
Ausdauer ermahnt haͤtte.
Am Abende, der dieſem quaalvollen Tage folg-
te, ward ſie nach einem verſchloßnen Wagen ge-
fuͤhrt, ein altes Weib und zwei Moͤnche nahmen
neben ihr Platz. Das Weib war zu ihrer Bedie-
nung beſtimmt, die Moͤnche wahrſcheinlich zu ih-
ren Waͤchtern, denn ſie folgten ihr uͤberall, und
uͤbernachteten auf der Reiſe, die ſechs Tage dauer-
te, meiſtens nur in Kloͤſtern, wo Karoline mit
ihrer Waͤchterin in ein beſonderes Zimmer verſperrt
wurde. Sie hatte wenig Geld und keine Koſtbar-
keiten bei ſich, nur den Ring, welchen ihr die guͤ-
tige Fuͤrſtin ſchenkte, hatte ſie ſtets heilig aufbe-
wahrt, wollte ihn, als den Beweis ihrer unver-
letzten Treue derſelben vorzeigen, und verbarg ihn
jetzt zur Nachtszeit ſorgfaͤltig in die Falten ihres
Unterrocks, weil uͤberdieß Friedrichs Name darein
gegraben war, und er außer dem Kinde, das ſie
unter ihrem Herzen trug, das einzige Andenken
war, welches ihr Noth und Zufall nicht geraubt
hatte.
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