Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
von Ferne die Thürme des Klosters zeigten, wo sie nun ewig eingekerkert schmachten sollte, sie sank abermals zu Boden, als die fürchterliche Pforte sich wahrscheinlich auf ewig hinter ihrem Rücken schloß. Die Nonnen überhäuften sie zwar mit den bittersten Vorwürfen, äußerten aber doch auch über ihre unerwartete, und so unverhoffte Ankunft des nun geretteten Vermögens wegen die größte Freude. Karoline ward zwar in einer hohen, en- gen, fest vergitterten Zelle verwahrt, aber sanfter und menschlicher behandelt, als sie vermuthet hat- te. Die vorige Aebtissin war gestorben, eine jün- gere, einst mit ihr sehr vertraute Schwester, war seit kurzem erst an ihre Stelle gewählt worden, die Unglückliche wähnte daher mit Recht, daß diese Erbarmen an ihr üben, und Mitleid mit ih- rem elenden Zustande haben würde. Aber sie be- trog sich, die neue Aebtissin mußte die Klosterge- setze und die Forderung der ältern Schwestern er- füllen, konnte nur sehr wenig zur Linderung ihres schrecklichen Schicksals beitragen, das nur dann erst begann, als sie die erforderliche Zession ihres ganzen Vermögens ausgestellt hatte, und die Nonnen durch Erhebung der Interessen, und durch Erfahrung überzeugt waren, daß sie der Unglück- lichen Hülfe nicht mehr bedurften. Karoline mußte dann vor der vollen Versamm- lung der Nonnen in einem härnen, schwarzen Sacke mit einer gelben Kerze in der Hand er- scheinen, und ihr Urtheil anhören. Es war
von Ferne die Thuͤrme des Kloſters zeigten, wo ſie nun ewig eingekerkert ſchmachten ſollte, ſie ſank abermals zu Boden, als die fuͤrchterliche Pforte ſich wahrſcheinlich auf ewig hinter ihrem Ruͤcken ſchloß. Die Nonnen uͤberhaͤuften ſie zwar mit den bitterſten Vorwuͤrfen, aͤußerten aber doch auch uͤber ihre unerwartete, und ſo unverhoffte Ankunft des nun geretteten Vermoͤgens wegen die groͤßte Freude. Karoline ward zwar in einer hohen, en- gen, feſt vergitterten Zelle verwahrt, aber ſanfter und menſchlicher behandelt, als ſie vermuthet hat- te. Die vorige Aebtiſſin war geſtorben, eine juͤn- gere, einſt mit ihr ſehr vertraute Schweſter, war ſeit kurzem erſt an ihre Stelle gewaͤhlt worden, die Ungluͤckliche waͤhnte daher mit Recht, daß dieſe Erbarmen an ihr uͤben, und Mitleid mit ih- rem elenden Zuſtande haben wuͤrde. Aber ſie be- trog ſich, die neue Aebtiſſin mußte die Kloſterge- ſetze und die Forderung der aͤltern Schweſtern er- fuͤllen, konnte nur ſehr wenig zur Linderung ihres ſchrecklichen Schickſals beitragen, das nur dann erſt begann, als ſie die erforderliche Zeſſion ihres ganzen Vermoͤgens ausgeſtellt hatte, und die Nonnen durch Erhebung der Intereſſen, und durch Erfahrung uͤberzeugt waren, daß ſie der Ungluͤck- lichen Huͤlfe nicht mehr bedurften. Karoline mußte dann vor der vollen Verſamm- lung der Nonnen in einem haͤrnen, ſchwarzen Sacke mit einer gelben Kerze in der Hand er- ſcheinen, und ihr Urtheil anhoͤren. Es war <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#FRIED"> <p><pb facs="#f0060" n="52"/> von Ferne die Thuͤrme des Kloſters zeigten, wo<lb/> ſie nun ewig eingekerkert ſchmachten ſollte, ſie ſank<lb/> abermals zu Boden, als die fuͤrchterliche Pforte<lb/> ſich wahrſcheinlich auf ewig hinter ihrem Ruͤcken<lb/> ſchloß. Die Nonnen uͤberhaͤuften ſie zwar mit<lb/> den bitterſten Vorwuͤrfen, aͤußerten aber doch auch<lb/> uͤber ihre unerwartete, und ſo unverhoffte Ankunft<lb/> des nun geretteten Vermoͤgens wegen die groͤßte<lb/> Freude. Karoline ward zwar in einer hohen, en-<lb/> gen, feſt vergitterten Zelle verwahrt, aber ſanfter<lb/> und menſchlicher behandelt, als ſie vermuthet hat-<lb/> te. Die vorige Aebtiſſin war geſtorben, eine juͤn-<lb/> gere, einſt mit ihr ſehr vertraute Schweſter, war<lb/> ſeit kurzem erſt an ihre Stelle gewaͤhlt worden,<lb/> die Ungluͤckliche waͤhnte daher mit Recht, daß<lb/> dieſe Erbarmen an ihr uͤben, und Mitleid mit ih-<lb/> rem elenden Zuſtande haben wuͤrde. Aber ſie be-<lb/> trog ſich, die neue Aebtiſſin mußte die Kloſterge-<lb/> ſetze und die Forderung der aͤltern Schweſtern er-<lb/> fuͤllen, konnte nur ſehr wenig zur Linderung ihres<lb/> ſchrecklichen Schickſals beitragen, das nur dann<lb/> erſt begann, als ſie die erforderliche Zeſſion ihres<lb/> ganzen Vermoͤgens ausgeſtellt hatte, und die<lb/> Nonnen durch Erhebung der Intereſſen, und durch<lb/> Erfahrung uͤberzeugt waren, daß ſie der Ungluͤck-<lb/> lichen Huͤlfe nicht mehr bedurften.</p><lb/> <p>Karoline mußte dann vor der vollen Verſamm-<lb/> lung der Nonnen in einem haͤrnen, ſchwarzen<lb/> Sacke mit einer gelben Kerze in der Hand er-<lb/> ſcheinen, und ihr Urtheil anhoͤren. Es war<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [52/0060]
von Ferne die Thuͤrme des Kloſters zeigten, wo
ſie nun ewig eingekerkert ſchmachten ſollte, ſie ſank
abermals zu Boden, als die fuͤrchterliche Pforte
ſich wahrſcheinlich auf ewig hinter ihrem Ruͤcken
ſchloß. Die Nonnen uͤberhaͤuften ſie zwar mit
den bitterſten Vorwuͤrfen, aͤußerten aber doch auch
uͤber ihre unerwartete, und ſo unverhoffte Ankunft
des nun geretteten Vermoͤgens wegen die groͤßte
Freude. Karoline ward zwar in einer hohen, en-
gen, feſt vergitterten Zelle verwahrt, aber ſanfter
und menſchlicher behandelt, als ſie vermuthet hat-
te. Die vorige Aebtiſſin war geſtorben, eine juͤn-
gere, einſt mit ihr ſehr vertraute Schweſter, war
ſeit kurzem erſt an ihre Stelle gewaͤhlt worden,
die Ungluͤckliche waͤhnte daher mit Recht, daß
dieſe Erbarmen an ihr uͤben, und Mitleid mit ih-
rem elenden Zuſtande haben wuͤrde. Aber ſie be-
trog ſich, die neue Aebtiſſin mußte die Kloſterge-
ſetze und die Forderung der aͤltern Schweſtern er-
fuͤllen, konnte nur ſehr wenig zur Linderung ihres
ſchrecklichen Schickſals beitragen, das nur dann
erſt begann, als ſie die erforderliche Zeſſion ihres
ganzen Vermoͤgens ausgeſtellt hatte, und die
Nonnen durch Erhebung der Intereſſen, und durch
Erfahrung uͤberzeugt waren, daß ſie der Ungluͤck-
lichen Huͤlfe nicht mehr bedurften.
Karoline mußte dann vor der vollen Verſamm-
lung der Nonnen in einem haͤrnen, ſchwarzen
Sacke mit einer gelben Kerze in der Hand er-
ſcheinen, und ihr Urtheil anhoͤren. Es war
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