Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.Nach dieser Zeit starb ihr Kind, sie sah gleich- Dieser Ausruf, den sie stets mit der größten Sie that niemanden etwas zu Leide, gieng Ihr Vermögen ward zinsbar angelegt, und Nach dieſer Zeit ſtarb ihr Kind, ſie ſah gleich- Dieſer Ausruf, den ſie ſtets mit der groͤßten Sie that niemanden etwas zu Leide, gieng Ihr Vermoͤgen ward zinsbar angelegt, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0187" n="179"/> <p>Nach dieſer Zeit ſtarb ihr Kind, ſie ſah gleich-<lb/> guͤltig zu, wie man's zu Grabe trug, ſie folgte<lb/> ſogar freiwillig dem Sarge; wie aber dieſer mit<lb/> Erde bedeckt war, ſo ſtieg ſie auf das erhoͤhte<lb/> Grab, und rief dreimal fuͤrchterlich aus: <hi rendition="#g">Gott<lb/> iſt gerecht</hi>! Sie hielte nach dieſem Ausrufe<lb/> noch eine lange Anrede ans Volk, aber keiner<lb/> konnte ein Wort verſtehen, es waren leere, unver-<lb/> ſtaͤndliche Toͤne, welche oft durch den Ausruf:<lb/> Gott iſt gerecht! unterbrochen wurden.</p><lb/> <p>Dieſer Ausruf, den ſie ſtets mit der groͤßten<lb/> Emphaſie ausſprach, war ihre uͤbrige Lebenszeit<lb/> hindurch das einzige verſtaͤndliche Wort, welches<lb/> man aus ihrem Munde hoͤrte.</p><lb/> <p>Sie that niemanden etwas zu Leide, gieng<lb/> ſtets mit in einander geſchlagnen Armen auf der<lb/> Straße ſtill und nachdenkend einher, wenn ſie aber<lb/> irgend eine kleine Anhoͤhe, oder einen großen<lb/> Stein erblickte, ſo ſprang ſie haſtig drauf, und<lb/> rief laut aus: Gott iſt gerecht! Dann folgte alle-<lb/> mal eine lange, unverſtaͤndliche Rede, die ſie mit<lb/> den heftigſten Geberden und Geſtikulationen be-<lb/> gleitete. Ihr folgten immer die Kinder des Dorfs<lb/> nach, nannten ſie ſpottweiſe: die Predigerin! und<lb/> waren gewiß, daß ſie ihnen Stunden lang vor-<lb/> predigte, wenn ſie ihr nur einen Stein zeigten,<lb/> auf welchem ſie ſtehen konnte.</p><lb/> <p>Ihr Vermoͤgen ward zinsbar angelegt, und<lb/> der Dorfhirte nahms uͤber ſich, ſie gegen Em-<lb/> pfang der Zinſen anſtaͤndig zu ernaͤhren. Nach<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [179/0187]
Nach dieſer Zeit ſtarb ihr Kind, ſie ſah gleich-
guͤltig zu, wie man's zu Grabe trug, ſie folgte
ſogar freiwillig dem Sarge; wie aber dieſer mit
Erde bedeckt war, ſo ſtieg ſie auf das erhoͤhte
Grab, und rief dreimal fuͤrchterlich aus: Gott
iſt gerecht! Sie hielte nach dieſem Ausrufe
noch eine lange Anrede ans Volk, aber keiner
konnte ein Wort verſtehen, es waren leere, unver-
ſtaͤndliche Toͤne, welche oft durch den Ausruf:
Gott iſt gerecht! unterbrochen wurden.
Dieſer Ausruf, den ſie ſtets mit der groͤßten
Emphaſie ausſprach, war ihre uͤbrige Lebenszeit
hindurch das einzige verſtaͤndliche Wort, welches
man aus ihrem Munde hoͤrte.
Sie that niemanden etwas zu Leide, gieng
ſtets mit in einander geſchlagnen Armen auf der
Straße ſtill und nachdenkend einher, wenn ſie aber
irgend eine kleine Anhoͤhe, oder einen großen
Stein erblickte, ſo ſprang ſie haſtig drauf, und
rief laut aus: Gott iſt gerecht! Dann folgte alle-
mal eine lange, unverſtaͤndliche Rede, die ſie mit
den heftigſten Geberden und Geſtikulationen be-
gleitete. Ihr folgten immer die Kinder des Dorfs
nach, nannten ſie ſpottweiſe: die Predigerin! und
waren gewiß, daß ſie ihnen Stunden lang vor-
predigte, wenn ſie ihr nur einen Stein zeigten,
auf welchem ſie ſtehen konnte.
Ihr Vermoͤgen ward zinsbar angelegt, und
der Dorfhirte nahms uͤber ſich, ſie gegen Em-
pfang der Zinſen anſtaͤndig zu ernaͤhren. Nach
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