Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

sie war vielmehr vollkommen mit ihrem Herzen
zufrieden, wenn es ihr in den Armen eines so gu-
ten Jünglings das schönste und größte Glück weis-
sagte. Es steht bei dir, sprach sie dann zu sich
selbst, den unschuldig Gekränkten wieder mit dem
Schicksale auszusöhnen, ihn zu überzeugen, daß
dem unverdienten Leiden oft der schönste Lohn
folgt. Sie konnte zwar nie hoffen, daß ihr Va-
ter seine Einwilligung zur Heirath mit einem ar-
men Schustergesellen geben würde, aber sie fand
diese in den Stunden ihrer empfindsamen Schwär-
merei ganz für überflüßig, weil ihre verstorbene
Mutter ihr mehr als zwanzig tausend Thaler hin-
terlassen hatte, mit welchen sie kraft des Testa-
ments schon im achtzehnten Jahre ihres Alters
nach freier Willkühr schalten konnte.

Vielleicht würde Vernunft und Zeit sie über-
zeugt haben, daß des Vaters Fluch dem unge-
horsamen Kinde nie Glück, nie Ruhe bringe,
wenn dieser nicht alles dazu beigetragen hätte, um
die schöne Träumerin in ihrem Vorsatze zu bestär-
ken. Ein noch reicherer, aber schon beinahe sech-
zig Jahre alter Kaufmann ward durch Karoli-
nens blühende Jugend und Schönheit zu der Ver-
suchung gereizt, in ihren Armen neue Lebenskraft
und Wärme zu suchen. Da er überzeugt zu seyn
glaubte, daß das Herz eines Mädchens gleich
jeder andern Waare kaufbar seyn müsse, so be-
schloß er, sich den Besitz desselben etwas nam-
haftes kosten zu lassen, und sprach deswegen mit

ſie war vielmehr vollkommen mit ihrem Herzen
zufrieden, wenn es ihr in den Armen eines ſo gu-
ten Juͤnglings das ſchoͤnſte und groͤßte Gluͤck weiſ-
ſagte. Es ſteht bei dir, ſprach ſie dann zu ſich
ſelbſt, den unſchuldig Gekraͤnkten wieder mit dem
Schickſale auszuſoͤhnen, ihn zu uͤberzeugen, daß
dem unverdienten Leiden oft der ſchoͤnſte Lohn
folgt. Sie konnte zwar nie hoffen, daß ihr Va-
ter ſeine Einwilligung zur Heirath mit einem ar-
men Schuſtergeſellen geben wuͤrde, aber ſie fand
dieſe in den Stunden ihrer empfindſamen Schwaͤr-
merei ganz fuͤr uͤberfluͤßig, weil ihre verſtorbene
Mutter ihr mehr als zwanzig tauſend Thaler hin-
terlaſſen hatte, mit welchen ſie kraft des Teſta-
ments ſchon im achtzehnten Jahre ihres Alters
nach freier Willkuͤhr ſchalten konnte.

Vielleicht wuͤrde Vernunft und Zeit ſie uͤber-
zeugt haben, daß des Vaters Fluch dem unge-
horſamen Kinde nie Gluͤck, nie Ruhe bringe,
wenn dieſer nicht alles dazu beigetragen haͤtte, um
die ſchoͤne Traͤumerin in ihrem Vorſatze zu beſtaͤr-
ken. Ein noch reicherer, aber ſchon beinahe ſech-
zig Jahre alter Kaufmann ward durch Karoli-
nens bluͤhende Jugend und Schoͤnheit zu der Ver-
ſuchung gereizt, in ihren Armen neue Lebenskraft
und Waͤrme zu ſuchen. Da er uͤberzeugt zu ſeyn
glaubte, daß das Herz eines Maͤdchens gleich
jeder andern Waare kaufbar ſeyn muͤſſe, ſo be-
ſchloß er, ſich den Beſitz deſſelben etwas nam-
haftes koſten zu laſſen, und ſprach deswegen mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0113" n="105"/>
&#x017F;ie war vielmehr vollkommen mit ihrem Herzen<lb/>
zufrieden, wenn es ihr in den Armen eines &#x017F;o gu-<lb/>
ten Ju&#x0364;nglings das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te und gro&#x0364;ßte Glu&#x0364;ck wei&#x017F;-<lb/>
&#x017F;agte. Es &#x017F;teht bei dir, &#x017F;prach &#x017F;ie dann zu &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, den un&#x017F;chuldig Gekra&#x0364;nkten wieder mit dem<lb/>
Schick&#x017F;ale auszu&#x017F;o&#x0364;hnen, ihn zu u&#x0364;berzeugen, daß<lb/>
dem unverdienten Leiden oft der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Lohn<lb/>
folgt. Sie konnte zwar nie hoffen, daß ihr Va-<lb/>
ter &#x017F;eine Einwilligung zur Heirath mit einem ar-<lb/>
men Schu&#x017F;terge&#x017F;ellen geben wu&#x0364;rde, aber &#x017F;ie fand<lb/>
die&#x017F;e in den Stunden ihrer empfind&#x017F;amen Schwa&#x0364;r-<lb/>
merei ganz fu&#x0364;r u&#x0364;berflu&#x0364;ßig, weil ihre ver&#x017F;torbene<lb/>
Mutter ihr mehr als zwanzig tau&#x017F;end Thaler hin-<lb/>
terla&#x017F;&#x017F;en hatte, mit welchen &#x017F;ie kraft des Te&#x017F;ta-<lb/>
ments &#x017F;chon im achtzehnten Jahre ihres Alters<lb/>
nach freier Willku&#x0364;hr &#x017F;chalten konnte.</p><lb/>
        <p>Vielleicht wu&#x0364;rde Vernunft und Zeit &#x017F;ie u&#x0364;ber-<lb/>
zeugt haben, daß des Vaters Fluch dem unge-<lb/>
hor&#x017F;amen Kinde nie Glu&#x0364;ck, nie Ruhe bringe,<lb/>
wenn die&#x017F;er nicht alles dazu beigetragen ha&#x0364;tte, um<lb/>
die &#x017F;cho&#x0364;ne Tra&#x0364;umerin in ihrem Vor&#x017F;atze zu be&#x017F;ta&#x0364;r-<lb/>
ken. Ein noch reicherer, aber &#x017F;chon beinahe &#x017F;ech-<lb/>
zig Jahre alter Kaufmann ward durch Karoli-<lb/>
nens blu&#x0364;hende Jugend und Scho&#x0364;nheit zu der Ver-<lb/>
&#x017F;uchung gereizt, in ihren Armen neue Lebenskraft<lb/>
und Wa&#x0364;rme zu &#x017F;uchen. Da er u&#x0364;berzeugt zu &#x017F;eyn<lb/>
glaubte, daß das Herz eines Ma&#x0364;dchens gleich<lb/>
jeder andern Waare kaufbar &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o be-<lb/>
&#x017F;chloß er, &#x017F;ich den Be&#x017F;itz de&#x017F;&#x017F;elben etwas nam-<lb/>
haftes ko&#x017F;ten zu la&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;prach deswegen mit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0113] ſie war vielmehr vollkommen mit ihrem Herzen zufrieden, wenn es ihr in den Armen eines ſo gu- ten Juͤnglings das ſchoͤnſte und groͤßte Gluͤck weiſ- ſagte. Es ſteht bei dir, ſprach ſie dann zu ſich ſelbſt, den unſchuldig Gekraͤnkten wieder mit dem Schickſale auszuſoͤhnen, ihn zu uͤberzeugen, daß dem unverdienten Leiden oft der ſchoͤnſte Lohn folgt. Sie konnte zwar nie hoffen, daß ihr Va- ter ſeine Einwilligung zur Heirath mit einem ar- men Schuſtergeſellen geben wuͤrde, aber ſie fand dieſe in den Stunden ihrer empfindſamen Schwaͤr- merei ganz fuͤr uͤberfluͤßig, weil ihre verſtorbene Mutter ihr mehr als zwanzig tauſend Thaler hin- terlaſſen hatte, mit welchen ſie kraft des Teſta- ments ſchon im achtzehnten Jahre ihres Alters nach freier Willkuͤhr ſchalten konnte. Vielleicht wuͤrde Vernunft und Zeit ſie uͤber- zeugt haben, daß des Vaters Fluch dem unge- horſamen Kinde nie Gluͤck, nie Ruhe bringe, wenn dieſer nicht alles dazu beigetragen haͤtte, um die ſchoͤne Traͤumerin in ihrem Vorſatze zu beſtaͤr- ken. Ein noch reicherer, aber ſchon beinahe ſech- zig Jahre alter Kaufmann ward durch Karoli- nens bluͤhende Jugend und Schoͤnheit zu der Ver- ſuchung gereizt, in ihren Armen neue Lebenskraft und Waͤrme zu ſuchen. Da er uͤberzeugt zu ſeyn glaubte, daß das Herz eines Maͤdchens gleich jeder andern Waare kaufbar ſeyn muͤſſe, ſo be- ſchloß er, ſich den Beſitz deſſelben etwas nam- haftes koſten zu laſſen, und ſprach deswegen mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/113
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/113>, abgerufen am 23.11.2024.