Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

noch nicht bemerkt hätte, wenn die weniger sprö-
den, französischen Mädchen ihn nicht auf diesen
Vorzug aufmerksam gemacht hätten.

Oft hatte im großen Deutschlande, das er
der Länge nach durchzog, manch schmachtendes
Auge mit Wohlgefallen auf ihm geruht, da er
aber die Sprache desselben nicht verstand, so war
er ungerührt vorüber gezogen, aber zu Strasburg
hörte er aus dem Munde der schönsten Mädchen
sich laut den schönen Schuster nennen, seine ge-
weckte Eitelkeit führte ihn oft vor seinem kleinen
Taschenspiegel, und überzeugte ihn eben so ge-
schwind, daß die Mädchen keine Unwahrheit ge-
sagt hätten. Er wandte von dieser Zeit an meh-
rere Sorgfalt auf seinen Körper, er bürstete sei-
nen Sonntagsrock emsiger, lockte sein dichtes
Haar schöner. Diese kleine Mühe blieb nicht un-
belohnt, die Mädchen nannten ihn jetzt nicht
nur den schönen, sondern auch den galanten
Schuster.

Unter allen, welche ihn freundlich grüßten,
willig beim Trinken die Gesundheit erwiederten,
noch williger ihm die Hand zum Tanze reichten,
behagte seinem Herzen am besten die Tochter ei-
nes sehr reichen Tuchfabrikanten. Sie konnte
zwar nicht neben ihm im Garten Platz nehmen,
oder auf dem Tanzsaale mit ihm die bunten Rei-
hen durchhüpfen, denn ihr stolzer Vater erlaubte
ihr beides nicht, aber sie suchte und fand doch
immer Gelegenheit, ihn deutlich zu überzeugen,

noch nicht bemerkt haͤtte, wenn die weniger ſproͤ-
den, franzoͤſiſchen Maͤdchen ihn nicht auf dieſen
Vorzug aufmerkſam gemacht haͤtten.

Oft hatte im großen Deutſchlande, das er
der Laͤnge nach durchzog, manch ſchmachtendes
Auge mit Wohlgefallen auf ihm geruht, da er
aber die Sprache deſſelben nicht verſtand, ſo war
er ungeruͤhrt voruͤber gezogen, aber zu Strasburg
hoͤrte er aus dem Munde der ſchoͤnſten Maͤdchen
ſich laut den ſchoͤnen Schuſter nennen, ſeine ge-
weckte Eitelkeit fuͤhrte ihn oft vor ſeinem kleinen
Taſchenſpiegel, und uͤberzeugte ihn eben ſo ge-
ſchwind, daß die Maͤdchen keine Unwahrheit ge-
ſagt haͤtten. Er wandte von dieſer Zeit an meh-
rere Sorgfalt auf ſeinen Koͤrper, er buͤrſtete ſei-
nen Sonntagsrock emſiger, lockte ſein dichtes
Haar ſchoͤner. Dieſe kleine Muͤhe blieb nicht un-
belohnt, die Maͤdchen nannten ihn jetzt nicht
nur den ſchoͤnen, ſondern auch den galanten
Schuſter.

Unter allen, welche ihn freundlich gruͤßten,
willig beim Trinken die Geſundheit erwiederten,
noch williger ihm die Hand zum Tanze reichten,
behagte ſeinem Herzen am beſten die Tochter ei-
nes ſehr reichen Tuchfabrikanten. Sie konnte
zwar nicht neben ihm im Garten Platz nehmen,
oder auf dem Tanzſaale mit ihm die bunten Rei-
hen durchhuͤpfen, denn ihr ſtolzer Vater erlaubte
ihr beides nicht, aber ſie ſuchte und fand doch
immer Gelegenheit, ihn deutlich zu uͤberzeugen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0111" n="103"/>
noch nicht bemerkt ha&#x0364;tte, wenn die weniger &#x017F;pro&#x0364;-<lb/>
den, franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Ma&#x0364;dchen ihn nicht auf die&#x017F;en<lb/>
Vorzug aufmerk&#x017F;am gemacht ha&#x0364;tten.</p><lb/>
        <p>Oft hatte im großen Deut&#x017F;chlande, das er<lb/>
der La&#x0364;nge nach durchzog, manch &#x017F;chmachtendes<lb/>
Auge mit Wohlgefallen auf ihm geruht, da er<lb/>
aber die Sprache de&#x017F;&#x017F;elben nicht ver&#x017F;tand, &#x017F;o war<lb/>
er ungeru&#x0364;hrt voru&#x0364;ber gezogen, aber zu Strasburg<lb/>
ho&#x0364;rte er aus dem Munde der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Ma&#x0364;dchen<lb/>
&#x017F;ich laut den &#x017F;cho&#x0364;nen Schu&#x017F;ter nennen, &#x017F;eine ge-<lb/>
weckte Eitelkeit fu&#x0364;hrte ihn oft vor &#x017F;einem kleinen<lb/>
Ta&#x017F;chen&#x017F;piegel, und u&#x0364;berzeugte ihn eben &#x017F;o ge-<lb/>
&#x017F;chwind, daß die Ma&#x0364;dchen keine Unwahrheit ge-<lb/>
&#x017F;agt ha&#x0364;tten. Er wandte von die&#x017F;er Zeit an meh-<lb/>
rere Sorgfalt auf &#x017F;einen Ko&#x0364;rper, er bu&#x0364;r&#x017F;tete &#x017F;ei-<lb/>
nen Sonntagsrock em&#x017F;iger, lockte &#x017F;ein dichtes<lb/>
Haar &#x017F;cho&#x0364;ner. Die&#x017F;e kleine Mu&#x0364;he blieb nicht un-<lb/>
belohnt, die Ma&#x0364;dchen nannten ihn jetzt nicht<lb/>
nur den &#x017F;cho&#x0364;nen, &#x017F;ondern auch den galanten<lb/>
Schu&#x017F;ter.</p><lb/>
        <p>Unter allen, welche ihn freundlich gru&#x0364;ßten,<lb/>
willig beim Trinken die Ge&#x017F;undheit erwiederten,<lb/>
noch williger ihm die Hand zum Tanze reichten,<lb/>
behagte &#x017F;einem Herzen am be&#x017F;ten die Tochter ei-<lb/>
nes &#x017F;ehr reichen Tuchfabrikanten. Sie konnte<lb/>
zwar nicht neben ihm im Garten Platz nehmen,<lb/>
oder auf dem Tanz&#x017F;aale mit ihm die bunten Rei-<lb/>
hen durchhu&#x0364;pfen, denn ihr &#x017F;tolzer Vater erlaubte<lb/>
ihr beides nicht, aber &#x017F;ie &#x017F;uchte und fand doch<lb/>
immer Gelegenheit, ihn deutlich zu u&#x0364;berzeugen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0111] noch nicht bemerkt haͤtte, wenn die weniger ſproͤ- den, franzoͤſiſchen Maͤdchen ihn nicht auf dieſen Vorzug aufmerkſam gemacht haͤtten. Oft hatte im großen Deutſchlande, das er der Laͤnge nach durchzog, manch ſchmachtendes Auge mit Wohlgefallen auf ihm geruht, da er aber die Sprache deſſelben nicht verſtand, ſo war er ungeruͤhrt voruͤber gezogen, aber zu Strasburg hoͤrte er aus dem Munde der ſchoͤnſten Maͤdchen ſich laut den ſchoͤnen Schuſter nennen, ſeine ge- weckte Eitelkeit fuͤhrte ihn oft vor ſeinem kleinen Taſchenſpiegel, und uͤberzeugte ihn eben ſo ge- ſchwind, daß die Maͤdchen keine Unwahrheit ge- ſagt haͤtten. Er wandte von dieſer Zeit an meh- rere Sorgfalt auf ſeinen Koͤrper, er buͤrſtete ſei- nen Sonntagsrock emſiger, lockte ſein dichtes Haar ſchoͤner. Dieſe kleine Muͤhe blieb nicht un- belohnt, die Maͤdchen nannten ihn jetzt nicht nur den ſchoͤnen, ſondern auch den galanten Schuſter. Unter allen, welche ihn freundlich gruͤßten, willig beim Trinken die Geſundheit erwiederten, noch williger ihm die Hand zum Tanze reichten, behagte ſeinem Herzen am beſten die Tochter ei- nes ſehr reichen Tuchfabrikanten. Sie konnte zwar nicht neben ihm im Garten Platz nehmen, oder auf dem Tanzſaale mit ihm die bunten Rei- hen durchhuͤpfen, denn ihr ſtolzer Vater erlaubte ihr beides nicht, aber ſie ſuchte und fand doch immer Gelegenheit, ihn deutlich zu uͤberzeugen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/111
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/111>, abgerufen am 22.11.2024.