Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.zählte ihr, daß ein alter Bauer gestorben sei, sie F 2
zaͤhlte ihr, daß ein alter Bauer geſtorben ſei, ſie F 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0097" n="83"/> zaͤhlte ihr, daß ein alter Bauer geſtorben ſei, ſie<lb/> wollte es anfangs nicht glauben, als aber jeder,<lb/> welcher ſie dieſen Tag beſuchte, ihre Frage eben<lb/> ſo beantwortete, ſo wurde ſie am Abende ruhiger,<lb/> und frage jetzt oft: ob ihr Vater die Leiche fuͤh-<lb/> ren, und ſie dann beſuchen werde? Da die Waͤr-<lb/> terinnen ihr Hofnung dazu machten, ſo ſchlief ſie<lb/> ſanft, und konnte am Morgen das Bette verlaſ-<lb/> ſen, ungeachtet die Anweſenden ſie eines andern<lb/> zu bereden ſuchten. Die beſondere auffallende Muͤ-<lb/> he, welche ſie am Mittage auf's neue anwandten,<lb/> Lottchen zum Niederlegen zu bereden, mochte die<lb/> Ungluͤckliche mißtrauiſch gemacht haben, ſie warf<lb/> ſich in ihren Kleidern auf's Bette, und ſchien<lb/> bald ſanft zu ſchlafen. Als die Glocken den Lei-<lb/> chenzug verkuͤndigten, und dieſer ſich ſchon der<lb/> Schule nahte, ruhte Lottchen noch immer, die<lb/> Waͤchterinnen ſchlichen ſich leiſe an's Fenſter, und<lb/> wollten auch mit Blicken Abſchied von ihrem<lb/> treuen Lehrer nehmen. Der Anblick riß ſie hin,<lb/> ſie ſchluchzten laut, und ſahen es nicht, wie das<lb/> arme Lottchen leiſe ihr Bette verließ, und auch<lb/> an's Fenſter ſchlich. Der Sarg, in welchem ihr<lb/> Vater ruhte, ward eben voruͤber getragen, ihre<lb/> Schweſtern folgten heulend in ſchwarzen Trauer-<lb/> kleidern, und Lottchen ſank mit einem graͤßlichen<lb/> Schrei zu Boden. Die Waͤrterinnen eilten ihr<lb/> erſchrocken zu Huͤlfe, ſchleppten ſie aufs Bet-<lb/> te, und weckten bald ihre Sinne, aber ihr Ver-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [83/0097]
zaͤhlte ihr, daß ein alter Bauer geſtorben ſei, ſie
wollte es anfangs nicht glauben, als aber jeder,
welcher ſie dieſen Tag beſuchte, ihre Frage eben
ſo beantwortete, ſo wurde ſie am Abende ruhiger,
und frage jetzt oft: ob ihr Vater die Leiche fuͤh-
ren, und ſie dann beſuchen werde? Da die Waͤr-
terinnen ihr Hofnung dazu machten, ſo ſchlief ſie
ſanft, und konnte am Morgen das Bette verlaſ-
ſen, ungeachtet die Anweſenden ſie eines andern
zu bereden ſuchten. Die beſondere auffallende Muͤ-
he, welche ſie am Mittage auf's neue anwandten,
Lottchen zum Niederlegen zu bereden, mochte die
Ungluͤckliche mißtrauiſch gemacht haben, ſie warf
ſich in ihren Kleidern auf's Bette, und ſchien
bald ſanft zu ſchlafen. Als die Glocken den Lei-
chenzug verkuͤndigten, und dieſer ſich ſchon der
Schule nahte, ruhte Lottchen noch immer, die
Waͤchterinnen ſchlichen ſich leiſe an's Fenſter, und
wollten auch mit Blicken Abſchied von ihrem
treuen Lehrer nehmen. Der Anblick riß ſie hin,
ſie ſchluchzten laut, und ſahen es nicht, wie das
arme Lottchen leiſe ihr Bette verließ, und auch
an's Fenſter ſchlich. Der Sarg, in welchem ihr
Vater ruhte, ward eben voruͤber getragen, ihre
Schweſtern folgten heulend in ſchwarzen Trauer-
kleidern, und Lottchen ſank mit einem graͤßlichen
Schrei zu Boden. Die Waͤrterinnen eilten ihr
erſchrocken zu Huͤlfe, ſchleppten ſie aufs Bet-
te, und weckten bald ihre Sinne, aber ihr Ver-
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