wohl hat er einen! Sein Geist war arbeitsam und thätig, aber er schabte stets an einem Or- te, machte glücklich ein Loch in die Hülle, doch ist's zu klein, jetzt kann er nicht heraus: win- det, krümmt sich, aber es geht nicht.
Pfarrer. Zu welchem Amte, mein lieber Karl, wird er mich wohl fähig finden, wenn er einst König wird?
Der graue Mann. Sie, Ehrwürdiger Herr, mache ich zum obersten Schulmeister meines Lan- des, denn ich seh's mit großem Vergnügen, wenn Sie oft in die Schule gehen, die Kinder zur Thä- tigkeit, zum Fleiße ermahnen, und ihnen Ihre eigne Kenntnisse mittheilen. Das nutzt, das fruchtet! denn jemehr unsere Geister ihre Häut- chen verdünnen, je glücklicher kann's auf dieser Welt werden.
Die Speisen rauchten schon lange auf der Ta- fel, wir mußten Platz nehmen, und indeß wir's thaten, entfernte sich der graue Mann. Ich konnte ihn nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen, denn er war über Feld gewandert, und niemand konnte ihn finden. Nach Tische ließ ich mir seine Lebensgeschichte vom Pfarrer erzählen:
Karl war der einzige Sohn eines Schusters, der sich redlich, aber kümmerlich, nährte. Als der Knabe acht Jahre alt war, starb Vater und Mutter; ein Bruder der letztern nahm die ver-
wohl hat er einen! Sein Geiſt war arbeitſam und thaͤtig, aber er ſchabte ſtets an einem Or- te, machte gluͤcklich ein Loch in die Huͤlle, doch iſt's zu klein, jetzt kann er nicht heraus: win- det, kruͤmmt ſich, aber es geht nicht.
Pfarrer. Zu welchem Amte, mein lieber Karl, wird er mich wohl faͤhig finden, wenn er einſt Koͤnig wird?
Der graue Mann. Sie, Ehrwuͤrdiger Herr, mache ich zum oberſten Schulmeiſter meines Lan- des, denn ich ſeh's mit großem Vergnuͤgen, wenn Sie oft in die Schule gehen, die Kinder zur Thaͤ- tigkeit, zum Fleiße ermahnen, und ihnen Ihre eigne Kenntniſſe mittheilen. Das nutzt, das fruchtet! denn jemehr unſere Geiſter ihre Haͤut- chen verduͤnnen, je gluͤcklicher kann's auf dieſer Welt werden.
Die Speiſen rauchten ſchon lange auf der Ta- fel, wir mußten Platz nehmen, und indeß wir's thaten, entfernte ſich der graue Mann. Ich konnte ihn nicht mehr ſehen, nicht mehr ſprechen, denn er war uͤber Feld gewandert, und niemand konnte ihn finden. Nach Tiſche ließ ich mir ſeine Lebensgeſchichte vom Pfarrer erzaͤhlen:
Karl war der einzige Sohn eines Schuſters, der ſich redlich, aber kuͤmmerlich, naͤhrte. Als der Knabe acht Jahre alt war, ſtarb Vater und Mutter; ein Bruder der letztern nahm die ver-
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wohl hat er einen! Sein Geiſt war arbeitſam
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te, machte gluͤcklich ein Loch in die Huͤlle, doch
iſt's zu klein, jetzt kann er nicht heraus: win-
det, kruͤmmt ſich, aber es geht nicht.
Pfarrer. Zu welchem Amte, mein lieber
Karl, wird er mich wohl faͤhig finden, wenn er
einſt Koͤnig wird?
Der graue Mann. Sie, Ehrwuͤrdiger Herr,
mache ich zum oberſten Schulmeiſter meines Lan-
des, denn ich ſeh's mit großem Vergnuͤgen, wenn
Sie oft in die Schule gehen, die Kinder zur Thaͤ-
tigkeit, zum Fleiße ermahnen, und ihnen Ihre
eigne Kenntniſſe mittheilen. Das nutzt, das
fruchtet! denn jemehr unſere Geiſter ihre Haͤut-
chen verduͤnnen, je gluͤcklicher kann's auf dieſer
Welt werden.
Die Speiſen rauchten ſchon lange auf der Ta-
fel, wir mußten Platz nehmen, und indeß wir's
thaten, entfernte ſich der graue Mann. Ich
konnte ihn nicht mehr ſehen, nicht mehr ſprechen,
denn er war uͤber Feld gewandert, und niemand
konnte ihn finden. Nach Tiſche ließ ich mir ſeine
Lebensgeſchichte vom Pfarrer erzaͤhlen:
Karl war der einzige Sohn eines Schuſters,
der ſich redlich, aber kuͤmmerlich, naͤhrte. Als
der Knabe acht Jahre alt war, ſtarb Vater und
Mutter; ein Bruder der letztern nahm die ver-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/68>, abgerufen am 16.02.2025.
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