es mir geglückt ist. Im Jahre 1767 am ersten Maie gelang es meinem arbeitsamen Geiste, das schon äusserst dünne Häutchen mit einmal zu ver- nichten, es platzte, und mein Geist konnte frei denken, frei handeln, und sich seines vorigen Zustandes erinnern. Er wollte sich vom irrdi- schen Körper losmachen, aber es war nicht mög- lich, er wandelte nach der Oberwelt, der Kör- per gieng mit, aber wir durften nicht dort blei- ben, weil die Zeit der Strafe noch nicht vollendet ist! -- (nachdenkend) Haben Sie schon ei- nen Taubstummen gesehen?
Ich. O ja!
Der graue Mann. Das sind elende Ge- schöpfe! Blos Körper, blos Maschine; als sie gebohren wurden, fiel eben kein Geist aus der Höhe herab, und nun wandeln sie so lange oh- ne diesen herum, bis irgend einmal ein herab- gefallener Geist kein neugebornes Kind findet, und in seinem Körper den Wohnsitz nimmt. Da- her kommt's, daß man jetzt in Zeitungen liest, wie die Stummen reden lernen.
Pfarrer. Hat denn der alte Jobst auch einen Geist?
Der graue Mann. Der ist ja ein Narr, liegt an der Kette, und raßt.
Pfarrer. Eben deswegen frag ich.
Der graue Mann. (seufzend) Ja
es mir gegluͤckt iſt. Im Jahre 1767 am erſten Maie gelang es meinem arbeitſamen Geiſte, das ſchon aͤuſſerſt duͤnne Haͤutchen mit einmal zu ver- nichten, es platzte, und mein Geiſt konnte frei denken, frei handeln, und ſich ſeines vorigen Zuſtandes erinnern. Er wollte ſich vom irrdi- ſchen Koͤrper losmachen, aber es war nicht moͤg- lich, er wandelte nach der Oberwelt, der Koͤr- per gieng mit, aber wir durften nicht dort blei- ben, weil die Zeit der Strafe noch nicht vollendet iſt! — (nachdenkend) Haben Sie ſchon ei- nen Taubſtummen geſehen?
Ich. O ja!
Der graue Mann. Das ſind elende Ge- ſchoͤpfe! Blos Koͤrper, blos Maſchine; als ſie gebohren wurden, fiel eben kein Geiſt aus der Hoͤhe herab, und nun wandeln ſie ſo lange oh- ne dieſen herum, bis irgend einmal ein herab- gefallener Geiſt kein neugebornes Kind findet, und in ſeinem Koͤrper den Wohnſitz nimmt. Da- her kommt's, daß man jetzt in Zeitungen lieſt, wie die Stummen reden lernen.
Pfarrer. Hat denn der alte Jobſt auch einen Geiſt?
Der graue Mann. Der iſt ja ein Narr, liegt an der Kette, und raßt.
Pfarrer. Eben deswegen frag ich.
Der graue Mann. (ſeufzend) Ja
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es mir gegluͤckt iſt. Im Jahre 1767 am erſten
Maie gelang es meinem arbeitſamen Geiſte, das
ſchon aͤuſſerſt duͤnne Haͤutchen mit einmal zu ver-
nichten, es platzte, und mein Geiſt konnte frei
denken, frei handeln, und ſich ſeines vorigen
Zuſtandes erinnern. Er wollte ſich vom irrdi-
ſchen Koͤrper losmachen, aber es war nicht moͤg-
lich, er wandelte nach der Oberwelt, der Koͤr-
per gieng mit, aber wir durften nicht dort blei-
ben, weil die Zeit der Strafe noch nicht vollendet
iſt! — (nachdenkend) Haben Sie ſchon ei-
nen Taubſtummen geſehen?
Ich. O ja!
Der graue Mann. Das ſind elende Ge-
ſchoͤpfe! Blos Koͤrper, blos Maſchine; als ſie
gebohren wurden, fiel eben kein Geiſt aus der
Hoͤhe herab, und nun wandeln ſie ſo lange oh-
ne dieſen herum, bis irgend einmal ein herab-
gefallener Geiſt kein neugebornes Kind findet,
und in ſeinem Koͤrper den Wohnſitz nimmt. Da-
her kommt's, daß man jetzt in Zeitungen lieſt,
wie die Stummen reden lernen.
Pfarrer. Hat denn der alte Jobſt auch
einen Geiſt?
Der graue Mann. Der iſt ja ein Narr,
liegt an der Kette, und raßt.
Pfarrer. Eben deswegen frag ich.
Der graue Mann. (ſeufzend) Ja
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/67>, abgerufen am 16.02.2025.
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