Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

dir die Freuden, sagte sie zu ihm, die ich in die-
sem Häuschen zu genießen hofte, und du wirst
gewiß recht glücklich und zufrieden darinne leben!
Sie arbeitete die folgenden Tage nicht, und
brachte sie meistens in der Kirche betend zu, ich
war mit der nahen Hochzeit meines Sohnes be-
schäftigt, und konnte sie nicht immer beobachten.
Am Abende vor dieser vermißte ich sie erst spät,
suchte sie in allen Häusern vergebens, und mußte
die Nacht hindurch trostlos um sie jammern.
Früh, als der Tag graute, gieng ich wieder nach
ihr umher. Gott weis, wie mir dazumal zu
Muthe war, ich beweinte sie schon als todt, und
suchte ihren Leichnam an der Eger. Einige Kin-
der versicherten mich, daß sie solche am späten
Abende auf dem Galgenberge gesehen hätten, ich
eilte dahin, und fand sie mitten unter den Grä-
bern auf der Erde liegend, sie war mehr todt als
lebendig, ihre rothen Augen bewiesen deutlich,
daß sie die ganze Nacht geweint hatte. Sie
kannte mich nicht, sprach ganz irre, und behaup-
tete, daß man ihren Geliebten erschossen, und
unter den Galgen begraben habe. Möglich und
wahrscheinlich ist, daß ihr vielleicht irgend ein lo-
ser Bube diese Nachricht, welche sich nie bestätig-
te, erzählt hatte, denn wenn ich sie eines andern
überreden wollte, so sagte sie immer: Er hat
mir's ja erzählt! Er hat's beschworen! Ich
brachte sie nur mit Mühe heim, ich mußte sie
bald hernach zu einer Verwandtin führen, weil

dir die Freuden, ſagte ſie zu ihm, die ich in die-
ſem Haͤuschen zu genießen hofte, und du wirſt
gewiß recht gluͤcklich und zufrieden darinne leben!
Sie arbeitete die folgenden Tage nicht, und
brachte ſie meiſtens in der Kirche betend zu, ich
war mit der nahen Hochzeit meines Sohnes be-
ſchaͤftigt, und konnte ſie nicht immer beobachten.
Am Abende vor dieſer vermißte ich ſie erſt ſpaͤt,
ſuchte ſie in allen Haͤuſern vergebens, und mußte
die Nacht hindurch troſtlos um ſie jammern.
Fruͤh, als der Tag graute, gieng ich wieder nach
ihr umher. Gott weis, wie mir dazumal zu
Muthe war, ich beweinte ſie ſchon als todt, und
ſuchte ihren Leichnam an der Eger. Einige Kin-
der verſicherten mich, daß ſie ſolche am ſpaͤten
Abende auf dem Galgenberge geſehen haͤtten, ich
eilte dahin, und fand ſie mitten unter den Graͤ-
bern auf der Erde liegend, ſie war mehr todt als
lebendig, ihre rothen Augen bewieſen deutlich,
daß ſie die ganze Nacht geweint hatte. Sie
kannte mich nicht, ſprach ganz irre, und behaup-
tete, daß man ihren Geliebten erſchoſſen, und
unter den Galgen begraben habe. Moͤglich und
wahrſcheinlich iſt, daß ihr vielleicht irgend ein lo-
ſer Bube dieſe Nachricht, welche ſich nie beſtaͤtig-
te, erzaͤhlt hatte, denn wenn ich ſie eines andern
uͤberreden wollte, ſo ſagte ſie immer: Er hat
mir's ja erzaͤhlt! Er hat's beſchworen! Ich
brachte ſie nur mit Muͤhe heim, ich mußte ſie
bald hernach zu einer Verwandtin fuͤhren, weil

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0035" n="21"/>
dir die Freuden, &#x017F;agte &#x017F;ie zu ihm,                     die ich in die-<lb/>
&#x017F;em Ha&#x0364;uschen zu genießen hofte, und du wir&#x017F;t<lb/>
gewiß                     recht glu&#x0364;cklich und zufrieden darinne leben!<lb/>
Sie arbeitete die folgenden                     Tage nicht, und<lb/>
brachte &#x017F;ie mei&#x017F;tens in der Kirche betend zu, ich<lb/>
war                     mit der nahen Hochzeit meines Sohnes be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigt, und konnte &#x017F;ie nicht                     immer beobachten.<lb/>
Am Abende vor die&#x017F;er vermißte ich &#x017F;ie er&#x017F;t                     &#x017F;pa&#x0364;t,<lb/>
&#x017F;uchte &#x017F;ie in allen Ha&#x0364;u&#x017F;ern vergebens, und mußte<lb/>
die Nacht                     hindurch tro&#x017F;tlos um &#x017F;ie jammern.<lb/>
Fru&#x0364;h, als der Tag graute, gieng ich                     wieder nach<lb/>
ihr umher. Gott weis, wie mir dazumal zu<lb/>
Muthe war, ich                     beweinte &#x017F;ie &#x017F;chon als todt, und<lb/>
&#x017F;uchte ihren Leichnam an der Eger. Einige                     Kin-<lb/>
der ver&#x017F;icherten mich, daß &#x017F;ie &#x017F;olche am &#x017F;pa&#x0364;ten<lb/>
Abende auf dem                     Galgenberge ge&#x017F;ehen ha&#x0364;tten, ich<lb/>
eilte dahin, und fand &#x017F;ie mitten unter den                     Gra&#x0364;-<lb/>
bern auf der Erde liegend, &#x017F;ie war mehr todt als<lb/>
lebendig, ihre                     rothen Augen bewie&#x017F;en deutlich,<lb/>
daß &#x017F;ie die ganze Nacht geweint hatte.                     Sie<lb/>
kannte mich nicht, &#x017F;prach ganz irre, und behaup-<lb/>
tete, daß man ihren                     Geliebten er&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
unter den Galgen begraben habe. Mo&#x0364;glich                     und<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t, daß ihr vielleicht irgend ein lo-<lb/>
&#x017F;er Bube die&#x017F;e                     Nachricht, welche &#x017F;ich nie be&#x017F;ta&#x0364;tig-<lb/>
te, erza&#x0364;hlt hatte, denn wenn ich &#x017F;ie                     eines andern<lb/>
u&#x0364;berreden wollte, &#x017F;o &#x017F;agte &#x017F;ie immer: Er hat<lb/>
mir's ja                     erza&#x0364;hlt! Er hat's be&#x017F;chworen! Ich<lb/>
brachte &#x017F;ie nur mit Mu&#x0364;he heim, ich mußte                     &#x017F;ie<lb/>
bald hernach zu einer Verwandtin fu&#x0364;hren, weil<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0035] dir die Freuden, ſagte ſie zu ihm, die ich in die- ſem Haͤuschen zu genießen hofte, und du wirſt gewiß recht gluͤcklich und zufrieden darinne leben! Sie arbeitete die folgenden Tage nicht, und brachte ſie meiſtens in der Kirche betend zu, ich war mit der nahen Hochzeit meines Sohnes be- ſchaͤftigt, und konnte ſie nicht immer beobachten. Am Abende vor dieſer vermißte ich ſie erſt ſpaͤt, ſuchte ſie in allen Haͤuſern vergebens, und mußte die Nacht hindurch troſtlos um ſie jammern. Fruͤh, als der Tag graute, gieng ich wieder nach ihr umher. Gott weis, wie mir dazumal zu Muthe war, ich beweinte ſie ſchon als todt, und ſuchte ihren Leichnam an der Eger. Einige Kin- der verſicherten mich, daß ſie ſolche am ſpaͤten Abende auf dem Galgenberge geſehen haͤtten, ich eilte dahin, und fand ſie mitten unter den Graͤ- bern auf der Erde liegend, ſie war mehr todt als lebendig, ihre rothen Augen bewieſen deutlich, daß ſie die ganze Nacht geweint hatte. Sie kannte mich nicht, ſprach ganz irre, und behaup- tete, daß man ihren Geliebten erſchoſſen, und unter den Galgen begraben habe. Moͤglich und wahrſcheinlich iſt, daß ihr vielleicht irgend ein lo- ſer Bube dieſe Nachricht, welche ſich nie beſtaͤtig- te, erzaͤhlt hatte, denn wenn ich ſie eines andern uͤberreden wollte, ſo ſagte ſie immer: Er hat mir's ja erzaͤhlt! Er hat's beſchworen! Ich brachte ſie nur mit Muͤhe heim, ich mußte ſie bald hernach zu einer Verwandtin fuͤhren, weil

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/35
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/35>, abgerufen am 21.11.2024.