Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.mich heirathen, und mit mir in meinem Häus- Sie betete jetzt still vor sich, ich wollte sie nicht lassen,
mich heirathen, und mit mir in meinem Haͤus- Sie betete jetzt ſtill vor ſich, ich wollte ſie nicht laſſen,
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0030" n="16"/> mich heirathen, und mit mir in meinem Haͤus-<lb/> chen wohnen; hernach deſertirte er, und da gab<lb/> ich dem Bruder das Haͤuschen, und hernach — —<lb/> hernach (<hi rendition="#g">mit ſchauderhaftem Gefuͤhle</hi>)<lb/> haben ſie ihn erſchoſſen und unter den Galgen be-<lb/> graben, und — — dann! Ach dann mußte ich<lb/> immer, immer fuͤr ihn beten! — — Wie ich in<lb/> die Kirche kam, da ſtand er am Altare und las<lb/> die Meſſe; aber er war's nicht, nein, er war's<lb/> nicht! Auf der Kanzel ſtand er auch einmal,<lb/> aber er war's nicht, nein, er war's nicht; — —<lb/> Ach, wenn ich ihn nur erloͤßt haͤtte! Ich muß<lb/> beten, ich muß fuͤr ihn beten! Nein, er war's<lb/> nicht! er war's nicht! (<hi rendition="#g">leiſe</hi>) Sie haben ihn<lb/> erſchoſſen, und unter den Galgen begraben.</p><lb/> <p>Sie betete jetzt ſtill vor ſich, ich wollte ſie nicht<lb/> ſtoͤhren, nicht neue Gefuͤhle des Schmerzens in<lb/> ihr wecken, und doch hatten die Bruchſtuͤcke ihrer<lb/> Geſchichte mein Herz ſehr geruͤhrt, es wuͤnſchte,<lb/> ſie ganz zu wiſſen, um vollkommnen Antheil dar-<lb/> an nehmen zu koͤnnen. Ich wagte es, die Mut-<lb/> ter auf's neue zu bitten, und fand ſie bereitwil-<lb/> lig, mir alles zu erzaͤhlen. Mein ſeeliger Gatte,<lb/> ſprach ſie, war ein ehrlicher und rechtſchaffner<lb/> Mann, er wirkte Struͤmpfe, und ernaͤhrte mich<lb/> und ſeine zwei Kinder redlich. Der Sohn lernte<lb/> das naͤmliche Handwerk, und gieng hernach in<lb/> die Fremde; da er den Vater ſchon viel gekoſtet<lb/> hatte, ſich ſelbſt zu ernaͤhren im Stande war,<lb/> ſo wollte er der Tochter doch auch etwas hinter-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">laſſen,</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0030]
mich heirathen, und mit mir in meinem Haͤus-
chen wohnen; hernach deſertirte er, und da gab
ich dem Bruder das Haͤuschen, und hernach — —
hernach (mit ſchauderhaftem Gefuͤhle)
haben ſie ihn erſchoſſen und unter den Galgen be-
graben, und — — dann! Ach dann mußte ich
immer, immer fuͤr ihn beten! — — Wie ich in
die Kirche kam, da ſtand er am Altare und las
die Meſſe; aber er war's nicht, nein, er war's
nicht! Auf der Kanzel ſtand er auch einmal,
aber er war's nicht, nein, er war's nicht; — —
Ach, wenn ich ihn nur erloͤßt haͤtte! Ich muß
beten, ich muß fuͤr ihn beten! Nein, er war's
nicht! er war's nicht! (leiſe) Sie haben ihn
erſchoſſen, und unter den Galgen begraben.
Sie betete jetzt ſtill vor ſich, ich wollte ſie nicht
ſtoͤhren, nicht neue Gefuͤhle des Schmerzens in
ihr wecken, und doch hatten die Bruchſtuͤcke ihrer
Geſchichte mein Herz ſehr geruͤhrt, es wuͤnſchte,
ſie ganz zu wiſſen, um vollkommnen Antheil dar-
an nehmen zu koͤnnen. Ich wagte es, die Mut-
ter auf's neue zu bitten, und fand ſie bereitwil-
lig, mir alles zu erzaͤhlen. Mein ſeeliger Gatte,
ſprach ſie, war ein ehrlicher und rechtſchaffner
Mann, er wirkte Struͤmpfe, und ernaͤhrte mich
und ſeine zwei Kinder redlich. Der Sohn lernte
das naͤmliche Handwerk, und gieng hernach in
die Fremde; da er den Vater ſchon viel gekoſtet
hatte, ſich ſelbſt zu ernaͤhren im Stande war,
ſo wollte er der Tochter doch auch etwas hinter-
laſſen,
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