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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

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mein Bruder von der Wanderschaft heim. Es
war in der Stube schon dunkel, ich konnte ihn
nicht gleich erkennen, aber wie ich ihn erkannte,
da hatte ich große, große Freude -- -- Mutter,
sprecht selbst, ob ich mich nicht recht freute, ob
ich ihn nicht herzlich küßte?

Die Alte. Ja, ich muß es selbst bezeugen!

Kätchen. Und doch hat er mich neulich
recht erbärmlich gepeitscht!

Die Alte. Weil du nicht folgen, nicht arbei-
ten wolltest.

Kätchen. (nachdenkend) Wo bin ich
denn geblieben?

Die Alte. Schweig nur, schweig! (zu
mir
) Sie wird mit ihrer Erzählung nie fertig,
mischt alles untereinander und verdirbt nur die
Zeit, die uns zur Arbeit so nothwendig ist.

Ich. Ich will sie euch reichlich lohnen,
aber erlaubt, daß sie weiter erzählen darf.

Die Alte. Nun, so erzähl, Käthe, erzähl,
wenn's der Herr schon so haben will.

Kätchen. So helft mir nur, Mutter! Ja,
ja! ich weis schon alles selbst! Du brauchst das
Häuschen nicht, sagte der Bruder, für dich wird
sich keine Heirath finden, gieb mir's ich kanns bes-
ser brauchen! -- (für sich hinstaunend) Ach,
er war so schön! weiß wie Milch, und roth wie
Blut! Er liebte mich recht herzlich, und wollte

mein Bruder von der Wanderſchaft heim. Es
war in der Stube ſchon dunkel, ich konnte ihn
nicht gleich erkennen, aber wie ich ihn erkannte,
da hatte ich große, große Freude — — Mutter,
ſprecht ſelbſt, ob ich mich nicht recht freute, ob
ich ihn nicht herzlich kuͤßte?

Die Alte. Ja, ich muß es ſelbſt bezeugen!

Kaͤtchen. Und doch hat er mich neulich
recht erbaͤrmlich gepeitſcht!

Die Alte. Weil du nicht folgen, nicht arbei-
ten wollteſt.

Kaͤtchen. (nachdenkend) Wo bin ich
denn geblieben?

Die Alte. Schweig nur, ſchweig! (zu
mir
) Sie wird mit ihrer Erzaͤhlung nie fertig,
miſcht alles untereinander und verdirbt nur die
Zeit, die uns zur Arbeit ſo nothwendig iſt.

Ich. Ich will ſie euch reichlich lohnen,
aber erlaubt, daß ſie weiter erzaͤhlen darf.

Die Alte. Nun, ſo erzaͤhl, Kaͤthe, erzaͤhl,
wenn's der Herr ſchon ſo haben will.

Kaͤtchen. So helft mir nur, Mutter! Ja,
ja! ich weis ſchon alles ſelbſt! Du brauchſt das
Haͤuschen nicht, ſagte der Bruder, fuͤr dich wird
ſich keine Heirath finden, gieb mir's ich kanns beſ-
ſer brauchen! — (fuͤr ſich hinſtaunend) Ach,
er war ſo ſchoͤn! weiß wie Milch, und roth wie
Blut! Er liebte mich recht herzlich, und wollte

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[15/0029] mein Bruder von der Wanderſchaft heim. Es war in der Stube ſchon dunkel, ich konnte ihn nicht gleich erkennen, aber wie ich ihn erkannte, da hatte ich große, große Freude — — Mutter, ſprecht ſelbſt, ob ich mich nicht recht freute, ob ich ihn nicht herzlich kuͤßte? Die Alte. Ja, ich muß es ſelbſt bezeugen! Kaͤtchen. Und doch hat er mich neulich recht erbaͤrmlich gepeitſcht! Die Alte. Weil du nicht folgen, nicht arbei- ten wollteſt. Kaͤtchen. (nachdenkend) Wo bin ich denn geblieben? Die Alte. Schweig nur, ſchweig! (zu mir) Sie wird mit ihrer Erzaͤhlung nie fertig, miſcht alles untereinander und verdirbt nur die Zeit, die uns zur Arbeit ſo nothwendig iſt. Ich. Ich will ſie euch reichlich lohnen, aber erlaubt, daß ſie weiter erzaͤhlen darf. Die Alte. Nun, ſo erzaͤhl, Kaͤthe, erzaͤhl, wenn's der Herr ſchon ſo haben will. Kaͤtchen. So helft mir nur, Mutter! Ja, ja! ich weis ſchon alles ſelbſt! Du brauchſt das Haͤuschen nicht, ſagte der Bruder, fuͤr dich wird ſich keine Heirath finden, gieb mir's ich kanns beſ- ſer brauchen! — (fuͤr ſich hinſtaunend) Ach, er war ſo ſchoͤn! weiß wie Milch, und roth wie Blut! Er liebte mich recht herzlich, und wollte

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/29>, abgerufen am 24.11.2024.