Karls Hand, er schrieb mir, daß er wegen Ursa- chen, die ich mündlich erfahren sollte, im Verhaft sitze, mich daher dringend bitte, ihn so bald als möglich zu besuchen. Ich durchwachte die Nacht weinend, quälte mich mit tausend schrecklichen Vorstellungen, und eilte am Morgen nach seinem Gefängnisse. Er sank schluchzend in meine Arme, flehte um Vergebung und verfluchte seinen Leicht- sinn, der mich und ihn unglücklich gemacht habe. O, du kannst mir nicht vergeben, du mußt mich ewig hassen und verfluchen, schrie er immer, wenn ich ihn versicherte, daß ich gefaßt sei, das Schrecklichste mit Gelassenheit anzuhören. Erst nach langer Zeit, und auf meine dringende Bit- te, ward mir seine allerdings sehr schreckliche Erzählung. Als wir aus Böhmen abreißten, hat- ten wir dreißigtausend Gulden, welche zu unsrer Reise bestimmt waren, mit uns genommen. Karl verspielte den größten Theil dieser Summe zu Spaa, und sandte schon von dort aus an den Verwalter unsrer Güter eine Obligation auf vier- zig tausend Gulden, welche er auf meine Herr- schaft aufnehmen sollte. Ich hatte sie ohne Unter- suchung unterschrieben, und Karl fand das Geld schon zu Pisa, wie wir dort anlangten. Da der Verwalter ihm nebenbei schrieb, daß auf ähnli- che Obligationen Geld genug zu haben sei, so spielte Karl ohne Zurückhaltung, und verlohr diese Summe beinahe ganz. Schon von Venedig ward wieder eine neue Obligation verabschickt, von
Karls Hand, er ſchrieb mir, daß er wegen Urſa- chen, die ich muͤndlich erfahren ſollte, im Verhaft ſitze, mich daher dringend bitte, ihn ſo bald als moͤglich zu beſuchen. Ich durchwachte die Nacht weinend, quaͤlte mich mit tauſend ſchrecklichen Vorſtellungen, und eilte am Morgen nach ſeinem Gefaͤngniſſe. Er ſank ſchluchzend in meine Arme, flehte um Vergebung und verfluchte ſeinen Leicht- ſinn, der mich und ihn ungluͤcklich gemacht habe. O, du kannſt mir nicht vergeben, du mußt mich ewig haſſen und verfluchen, ſchrie er immer, wenn ich ihn verſicherte, daß ich gefaßt ſei, das Schrecklichſte mit Gelaſſenheit anzuhoͤren. Erſt nach langer Zeit, und auf meine dringende Bit- te, ward mir ſeine allerdings ſehr ſchreckliche Erzaͤhlung. Als wir aus Boͤhmen abreißten, hat- ten wir dreißigtauſend Gulden, welche zu unſrer Reiſe beſtimmt waren, mit uns genommen. Karl verſpielte den groͤßten Theil dieſer Summe zu Spaa, und ſandte ſchon von dort aus an den Verwalter unſrer Guͤter eine Obligation auf vier- zig tauſend Gulden, welche er auf meine Herr- ſchaft aufnehmen ſollte. Ich hatte ſie ohne Unter- ſuchung unterſchrieben, und Karl fand das Geld ſchon zu Piſa, wie wir dort anlangten. Da der Verwalter ihm nebenbei ſchrieb, daß auf aͤhnli- che Obligationen Geld genug zu haben ſei, ſo ſpielte Karl ohne Zuruͤckhaltung, und verlohr dieſe Summe beinahe ganz. Schon von Venedig ward wieder eine neue Obligation verabſchickt, von
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Karls Hand, er ſchrieb mir, daß er wegen Urſa-
chen, die ich muͤndlich erfahren ſollte, im Verhaft
ſitze, mich daher dringend bitte, ihn ſo bald als
moͤglich zu beſuchen. Ich durchwachte die Nacht
weinend, quaͤlte mich mit tauſend ſchrecklichen
Vorſtellungen, und eilte am Morgen nach ſeinem
Gefaͤngniſſe. Er ſank ſchluchzend in meine Arme,
flehte um Vergebung und verfluchte ſeinen Leicht-
ſinn, der mich und ihn ungluͤcklich gemacht habe.
O, du kannſt mir nicht vergeben, du mußt mich
ewig haſſen und verfluchen, ſchrie er immer, wenn
ich ihn verſicherte, daß ich gefaßt ſei, das
Schrecklichſte mit Gelaſſenheit anzuhoͤren. Erſt
nach langer Zeit, und auf meine dringende Bit-
te, ward mir ſeine allerdings ſehr ſchreckliche
Erzaͤhlung. Als wir aus Boͤhmen abreißten, hat-
ten wir dreißigtauſend Gulden, welche zu unſrer
Reiſe beſtimmt waren, mit uns genommen. Karl
verſpielte den groͤßten Theil dieſer Summe zu
Spaa, und ſandte ſchon von dort aus an den
Verwalter unſrer Guͤter eine Obligation auf vier-
zig tauſend Gulden, welche er auf meine Herr-
ſchaft aufnehmen ſollte. Ich hatte ſie ohne Unter-
ſuchung unterſchrieben, und Karl fand das Geld
ſchon zu Piſa, wie wir dort anlangten. Da der
Verwalter ihm nebenbei ſchrieb, daß auf aͤhnli-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/208>, abgerufen am 16.02.2025.
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