Gespräch auf's neue anfangen, und wie ich vor- züglich der Erinnerung des Rings ausweichen könne, welcher wahrscheinlich den Stof zum Aus- bruche ihres Wahnsinns lieferte. Wie ich be- ginnen wollte, fragte mich die Alte auf's neue: wie weit sie mir ihre Geschichte erzählt habe?
Ich. Eben hatten Sie von der Monarchin die Erlaubniß erhalten, Ihren Karl zu heura- then, waren beide von ihr sehr gnädig aufgenom- men und reichlich beschenkt worden.
Die Alte. Richtig, ich erinnere mich schon. Den schönen Ring habe ich Ihnen doch schon ge- zeigt?
Ich. Ja, Sie thaten es!
Die Alte. Viele Leute verdenken mir's, daß ich ihn mit in's Grab nehmen will, aber ich kann nicht anders, ich muß den Willen meiner Monarchin streng beobachten.
Ich. Da haben Sie vollkommen Recht.
Die Alte. Nicht wahr? Nun, das freut mich, daß Sie doch auch meiner Meinung sind! O wie oft habe ich mich schon darüber geärgert, wenn man mir vorwarf, daß ich es meinem ar- men Kinde stehlen, sie ohne Versorgung in Jam- mer und Elend zurücklassen würde, aber die Leute verstehen das nicht, und urtheilen nur nach ihrem eignen, groben Gefühle, das nicht fähig ist, dies alles zu empfinden, Sie sind einer von den We-
Geſpraͤch auf's neue anfangen, und wie ich vor- zuͤglich der Erinnerung des Rings ausweichen koͤnne, welcher wahrſcheinlich den Stof zum Aus- bruche ihres Wahnſinns lieferte. Wie ich be- ginnen wollte, fragte mich die Alte auf's neue: wie weit ſie mir ihre Geſchichte erzaͤhlt habe?
Ich. Eben hatten Sie von der Monarchin die Erlaubniß erhalten, Ihren Karl zu heura- then, waren beide von ihr ſehr gnaͤdig aufgenom- men und reichlich beſchenkt worden.
Die Alte. Richtig, ich erinnere mich ſchon. Den ſchoͤnen Ring habe ich Ihnen doch ſchon ge- zeigt?
Ich. Ja, Sie thaten es!
Die Alte. Viele Leute verdenken mir's, daß ich ihn mit in's Grab nehmen will, aber ich kann nicht anders, ich muß den Willen meiner Monarchin ſtreng beobachten.
Ich. Da haben Sie vollkommen Recht.
Die Alte. Nicht wahr? Nun, das freut mich, daß Sie doch auch meiner Meinung ſind! O wie oft habe ich mich ſchon daruͤber geaͤrgert, wenn man mir vorwarf, daß ich es meinem ar- men Kinde ſtehlen, ſie ohne Verſorgung in Jam- mer und Elend zuruͤcklaſſen wuͤrde, aber die Leute verſtehen das nicht, und urtheilen nur nach ihrem eignen, groben Gefuͤhle, das nicht faͤhig iſt, dies alles zu empfinden, Sie ſind einer von den We-
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Geſpraͤch auf's neue anfangen, und wie ich vor-
zuͤglich der Erinnerung des Rings ausweichen
koͤnne, welcher wahrſcheinlich den Stof zum Aus-
bruche ihres Wahnſinns lieferte. Wie ich be-
ginnen wollte, fragte mich die Alte auf's neue:
wie weit ſie mir ihre Geſchichte erzaͤhlt habe?
Ich. Eben hatten Sie von der Monarchin
die Erlaubniß erhalten, Ihren Karl zu heura-
then, waren beide von ihr ſehr gnaͤdig aufgenom-
men und reichlich beſchenkt worden.
Die Alte. Richtig, ich erinnere mich ſchon.
Den ſchoͤnen Ring habe ich Ihnen doch ſchon ge-
zeigt?
Ich. Ja, Sie thaten es!
Die Alte. Viele Leute verdenken mir's,
daß ich ihn mit in's Grab nehmen will, aber ich
kann nicht anders, ich muß den Willen meiner
Monarchin ſtreng beobachten.
Ich. Da haben Sie vollkommen Recht.
Die Alte. Nicht wahr? Nun, das freut
mich, daß Sie doch auch meiner Meinung ſind!
O wie oft habe ich mich ſchon daruͤber geaͤrgert,
wenn man mir vorwarf, daß ich es meinem ar-
men Kinde ſtehlen, ſie ohne Verſorgung in Jam-
mer und Elend zuruͤcklaſſen wuͤrde, aber die Leute
verſtehen das nicht, und urtheilen nur nach ihrem
eignen, groben Gefuͤhle, das nicht faͤhig iſt, dies
alles zu empfinden, Sie ſind einer von den We-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/203>, abgerufen am 16.02.2025.
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