Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.Schlafkammer; starr und verzweiflungsvoll um- Eben wollte ich noch mehrere Fälle durchgehen, Schlafkammer; ſtarr und verzweiflungsvoll um- Eben wollte ich noch mehrere Faͤlle durchgehen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0020" n="6"/> Schlafkammer; ſtarr und verzweiflungsvoll um-<lb/> her blickend, ſaß ſie einſam auf ihrem Bette, ſie<lb/> rang ihre Haͤnde, ſie flehte zu Gott um Rettung<lb/> aus der Schande, die ihr unwiderruflich drohte.<lb/> Sie hatte ihren Zuſtand vor aller Augen bis jetzt<lb/> verborgen, noch am Abende legte der alte Vater<lb/> ſegnend ſeine Hand auf ihr Haupt, und nannte<lb/> ſie die Hofnung ſeiner alten Tage. Am Morgen<lb/> ſollte er erfahren, daß ſein einziges Kind zur<lb/> Hure geworden ſei! Dieſer Gedanke allein war<lb/> ihr mehr als Hoͤlle! Sie duldete die Schmerzen<lb/> der Geburt im Stillen; als ſie aber gebahr, und<lb/> ihr Schmerzenskind weinend die Schande der Mut-<lb/> ter zu verkuͤndigen begann, da ergriff es die Un-<lb/> gluͤckliche im Gefuͤhle der innigſten Schaam, und<lb/> erſtickte es im Bette. Die That ward bald ent-<lb/> deckt, und ſie blutete hier unter dem Schwerte<lb/> des Henkers! Allmaͤchtiger, richte du: ob er,<lb/> der Verfuͤhrer, der Meineidige, welcher ihre Ehre<lb/> ſo boshaft vernichtete, und raubte, was er nicht<lb/> wieder geben konnte, nicht auch Theil hatte an<lb/> der blutigen That, nicht hier zu bluten ver-<lb/> diente?</p><lb/> <p>Eben wollte ich noch mehrere Faͤlle durchgehen,<lb/> welche oft den rechtſchaffnen Mann zu kleinen<lb/> Verbrechen verleiten, zu groͤßern zwingen, und<lb/> wahrlich unverdient zum Hochgerichte fuͤhren, als<lb/> ein melodiſcher Geſang, welcher aus dem nahen<lb/> Thale herauf erſcholl, meine Aufmerkſamkeit weck-<lb/> te. Der dicke Nebel hinderte mein Auge, nach<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [6/0020]
Schlafkammer; ſtarr und verzweiflungsvoll um-
her blickend, ſaß ſie einſam auf ihrem Bette, ſie
rang ihre Haͤnde, ſie flehte zu Gott um Rettung
aus der Schande, die ihr unwiderruflich drohte.
Sie hatte ihren Zuſtand vor aller Augen bis jetzt
verborgen, noch am Abende legte der alte Vater
ſegnend ſeine Hand auf ihr Haupt, und nannte
ſie die Hofnung ſeiner alten Tage. Am Morgen
ſollte er erfahren, daß ſein einziges Kind zur
Hure geworden ſei! Dieſer Gedanke allein war
ihr mehr als Hoͤlle! Sie duldete die Schmerzen
der Geburt im Stillen; als ſie aber gebahr, und
ihr Schmerzenskind weinend die Schande der Mut-
ter zu verkuͤndigen begann, da ergriff es die Un-
gluͤckliche im Gefuͤhle der innigſten Schaam, und
erſtickte es im Bette. Die That ward bald ent-
deckt, und ſie blutete hier unter dem Schwerte
des Henkers! Allmaͤchtiger, richte du: ob er,
der Verfuͤhrer, der Meineidige, welcher ihre Ehre
ſo boshaft vernichtete, und raubte, was er nicht
wieder geben konnte, nicht auch Theil hatte an
der blutigen That, nicht hier zu bluten ver-
diente?
Eben wollte ich noch mehrere Faͤlle durchgehen,
welche oft den rechtſchaffnen Mann zu kleinen
Verbrechen verleiten, zu groͤßern zwingen, und
wahrlich unverdient zum Hochgerichte fuͤhren, als
ein melodiſcher Geſang, welcher aus dem nahen
Thale herauf erſcholl, meine Aufmerkſamkeit weck-
te. Der dicke Nebel hinderte mein Auge, nach
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