Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.mein Herz, daß diese Hügel wahrscheinlich die mein Herz, daß dieſe Huͤgel wahrſcheinlich die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0019" n="5"/> mein Herz, daß dieſe Huͤgel wahrſcheinlich die<lb/> Graͤber waͤren, in welchen die Opfer der Gerech-<lb/> tigkeit, die ihr an dieſer Staͤtte gebracht wurden,<lb/> ruhten. O ihr Armen! dachte ich jetzt, euch iſt<lb/> wohl; aber weh, weh war euch's gewiß damals,<lb/> als ihr, umgeben von der gaffenden Menge, eu-<lb/> ren Todeskampf kaͤmpftet; zum letztenmale in der<lb/> weiten Natur umher blicktet, und dann hinge-<lb/> ſchleppt wurdet, um unter der Hand des Henkers<lb/> euer Leben zu enden! Vielleicht blutete manch-<lb/> mal die verfolgte Unſchuld an dieſer Staͤtte!<lb/> Vielleicht flehte ſie hier oft vergebens um Rettung<lb/> und Huͤlfe, und ſtarb verzweifelnd! — — Kalter<lb/> Schauer ergriff mich, ich ſprang auf, und wan-<lb/> delte unter den Graͤbern umher. Ich gieng an<lb/> den langen und großen Huͤgeln kalt voruͤber,<lb/> weil mein Gefuͤhl hier die Ruheſtaͤtte der Raͤuber<lb/> und Moͤrder vermuthete, ich weilte geruͤhrt an<lb/> den kuͤrzern und kleinern, weil ich muthmaßte,<lb/> daß hier diejenigen ſchliefen, welche das Schwert<lb/> gerichtet hatte. Der Gedanke, daß unter dieſen<lb/> ſich auch Kindermoͤrderinnen befaͤnden, ergriff<lb/> mein Herz, und engte es maͤchtig. Ich ſah die<lb/> ſchuldloſe Dirne unbefleckt und rein im einſamen<lb/> Thale luſtwandeln, ihr Verfuͤhrer, ein abgefeim-<lb/> ter Wohlluͤſtling, ſchlich hinter ihr her, ruͤhrte<lb/> ihr offnes Herz, raubte ihre Unſchuld, und eilte<lb/> frohlockend von dannen. Meine Einbildungskraft<lb/> uͤberhuͤpfte einen Zeitraum von neun Monden,<lb/> ich erblickte die naͤmliche Dirne wieder in ihrer<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0019]
mein Herz, daß dieſe Huͤgel wahrſcheinlich die
Graͤber waͤren, in welchen die Opfer der Gerech-
tigkeit, die ihr an dieſer Staͤtte gebracht wurden,
ruhten. O ihr Armen! dachte ich jetzt, euch iſt
wohl; aber weh, weh war euch's gewiß damals,
als ihr, umgeben von der gaffenden Menge, eu-
ren Todeskampf kaͤmpftet; zum letztenmale in der
weiten Natur umher blicktet, und dann hinge-
ſchleppt wurdet, um unter der Hand des Henkers
euer Leben zu enden! Vielleicht blutete manch-
mal die verfolgte Unſchuld an dieſer Staͤtte!
Vielleicht flehte ſie hier oft vergebens um Rettung
und Huͤlfe, und ſtarb verzweifelnd! — — Kalter
Schauer ergriff mich, ich ſprang auf, und wan-
delte unter den Graͤbern umher. Ich gieng an
den langen und großen Huͤgeln kalt voruͤber,
weil mein Gefuͤhl hier die Ruheſtaͤtte der Raͤuber
und Moͤrder vermuthete, ich weilte geruͤhrt an
den kuͤrzern und kleinern, weil ich muthmaßte,
daß hier diejenigen ſchliefen, welche das Schwert
gerichtet hatte. Der Gedanke, daß unter dieſen
ſich auch Kindermoͤrderinnen befaͤnden, ergriff
mein Herz, und engte es maͤchtig. Ich ſah die
ſchuldloſe Dirne unbefleckt und rein im einſamen
Thale luſtwandeln, ihr Verfuͤhrer, ein abgefeim-
ter Wohlluͤſtling, ſchlich hinter ihr her, ruͤhrte
ihr offnes Herz, raubte ihre Unſchuld, und eilte
frohlockend von dannen. Meine Einbildungskraft
uͤberhuͤpfte einen Zeitraum von neun Monden,
ich erblickte die naͤmliche Dirne wieder in ihrer
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