Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

tigen Markgrafen von Wohburg erbaut wurde.
Kein Fenster blendete hier meinen Blick, ich
konnte ungehindert in diesen Ruinen umher wan-
deln, ungehindert überlegen: wie einst drei Brü-
der dieses mächtigen Stammes in wenigen Gemä-
chern Raum fanden, und doch oft alle Edlen
rings umher fürstlich bewirtheten. Meine Ein-
bildungskraft riß mich abermals mit sich fort,
ich war mit ihrer Hülfe eben der Minnesänger
der schönen Markgräfin Johanna geworden, sang
eben, auf der Harfe spielend, ihr Lob, als mein
Auge unten an der Veste ein kleines Fensterlein
gewahrte, das dem Gefängnisse, in welchem einst
Popel Lobkowitz blutete, sparsames Licht gab.
Meine Harfe schwieg, ich dachte des schrecklichen
Hussitenkriegs, ich sah rauben, plündern, mor-
den; ich zitterte, mein gesenktes Auge starrte am
Boden, und weigerte sich, ferner umher zu blicken.
Viele kleine Hügel, die in Grabesgestalt zu mei-
nen Füßen umher lagen, beschäftigten es bald
auf's neue, der Gedanke des Todes ward in mei-
ner Seele rege. Wenn auch dein Körper einst
ruhen und schlafen wird, dachte sie jetzt und lei-
tete die Augen nach jenen unermeßlichen Gefilden
empor, in welchen sie einst zu wohnen hofte!
Ich saß lange traurig und denkend, ich wollte
mich zerstreuen, blickte rechts, und die Ruinen
des nahen Galgens, den Kaiser Josephs Gebot,
gleich allen seinen Mitbrüdern, zerstört hatte, la-
gen vor mir. Schnell durchbebte der Gedanke

tigen Markgrafen von Wohburg erbaut wurde.
Kein Fenſter blendete hier meinen Blick, ich
konnte ungehindert in dieſen Ruinen umher wan-
deln, ungehindert uͤberlegen: wie einſt drei Bruͤ-
der dieſes maͤchtigen Stammes in wenigen Gemaͤ-
chern Raum fanden, und doch oft alle Edlen
rings umher fuͤrſtlich bewirtheten. Meine Ein-
bildungskraft riß mich abermals mit ſich fort,
ich war mit ihrer Huͤlfe eben der Minneſaͤnger
der ſchoͤnen Markgraͤfin Johanna geworden, ſang
eben, auf der Harfe ſpielend, ihr Lob, als mein
Auge unten an der Veſte ein kleines Fenſterlein
gewahrte, das dem Gefaͤngniſſe, in welchem einſt
Popel Lobkowitz blutete, ſparſames Licht gab.
Meine Harfe ſchwieg, ich dachte des ſchrecklichen
Huſſitenkriegs, ich ſah rauben, pluͤndern, mor-
den; ich zitterte, mein geſenktes Auge ſtarrte am
Boden, und weigerte ſich, ferner umher zu blicken.
Viele kleine Huͤgel, die in Grabesgeſtalt zu mei-
nen Fuͤßen umher lagen, beſchaͤftigten es bald
auf's neue, der Gedanke des Todes ward in mei-
ner Seele rege. Wenn auch dein Koͤrper einſt
ruhen und ſchlafen wird, dachte ſie jetzt und lei-
tete die Augen nach jenen unermeßlichen Gefilden
empor, in welchen ſie einſt zu wohnen hofte!
Ich ſaß lange traurig und denkend, ich wollte
mich zerſtreuen, blickte rechts, und die Ruinen
des nahen Galgens, den Kaiſer Joſephs Gebot,
gleich allen ſeinen Mitbruͤdern, zerſtoͤrt hatte, la-
gen vor mir. Schnell durchbebte der Gedanke

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018" n="4"/>
tigen Markgrafen von Wohburg erbaut wurde.<lb/>
Kein Fen&#x017F;ter                     blendete hier meinen Blick, ich<lb/>
konnte ungehindert in die&#x017F;en Ruinen umher                     wan-<lb/>
deln, ungehindert u&#x0364;berlegen: wie ein&#x017F;t drei Bru&#x0364;-<lb/>
der die&#x017F;es                     ma&#x0364;chtigen Stammes in wenigen Gema&#x0364;-<lb/>
chern Raum fanden, und doch oft alle                     Edlen<lb/>
rings umher fu&#x0364;r&#x017F;tlich bewirtheten. Meine Ein-<lb/>
bildungskraft riß                     mich abermals mit &#x017F;ich fort,<lb/>
ich war mit ihrer Hu&#x0364;lfe eben der                     Minne&#x017F;a&#x0364;nger<lb/>
der &#x017F;cho&#x0364;nen Markgra&#x0364;fin Johanna geworden, &#x017F;ang<lb/>
eben, auf                     der Harfe &#x017F;pielend, ihr Lob, als mein<lb/>
Auge unten an der Ve&#x017F;te ein kleines                     Fen&#x017F;terlein<lb/>
gewahrte, das dem Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e, in welchem ein&#x017F;t<lb/>
Popel                     Lobkowitz blutete, &#x017F;par&#x017F;ames Licht gab.<lb/>
Meine Harfe &#x017F;chwieg, ich dachte des                     &#x017F;chrecklichen<lb/>
Hu&#x017F;&#x017F;itenkriegs, ich &#x017F;ah rauben, plu&#x0364;ndern, mor-<lb/>
den; ich                     zitterte, mein ge&#x017F;enktes Auge &#x017F;tarrte am<lb/>
Boden, und weigerte &#x017F;ich, ferner                     umher zu blicken.<lb/>
Viele kleine Hu&#x0364;gel, die in Grabesge&#x017F;talt zu mei-<lb/>
nen                     Fu&#x0364;ßen umher lagen, be&#x017F;cha&#x0364;ftigten es bald<lb/>
auf's neue, der Gedanke des Todes                     ward in mei-<lb/>
ner Seele rege. Wenn auch dein Ko&#x0364;rper ein&#x017F;t<lb/>
ruhen und                     &#x017F;chlafen wird, dachte &#x017F;ie jetzt und lei-<lb/>
tete die Augen nach jenen                     unermeßlichen Gefilden<lb/>
empor, in welchen &#x017F;ie ein&#x017F;t zu wohnen hofte!<lb/>
Ich                     &#x017F;aß lange traurig und denkend, ich wollte<lb/>
mich zer&#x017F;treuen, blickte rechts,                     und die Ruinen<lb/>
des nahen Galgens, den Kai&#x017F;er Jo&#x017F;ephs Gebot,<lb/>
gleich allen                     &#x017F;einen Mitbru&#x0364;dern, zer&#x017F;to&#x0364;rt hatte, la-<lb/>
gen vor mir. Schnell durchbebte der                         Gedanke<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0018] tigen Markgrafen von Wohburg erbaut wurde. Kein Fenſter blendete hier meinen Blick, ich konnte ungehindert in dieſen Ruinen umher wan- deln, ungehindert uͤberlegen: wie einſt drei Bruͤ- der dieſes maͤchtigen Stammes in wenigen Gemaͤ- chern Raum fanden, und doch oft alle Edlen rings umher fuͤrſtlich bewirtheten. Meine Ein- bildungskraft riß mich abermals mit ſich fort, ich war mit ihrer Huͤlfe eben der Minneſaͤnger der ſchoͤnen Markgraͤfin Johanna geworden, ſang eben, auf der Harfe ſpielend, ihr Lob, als mein Auge unten an der Veſte ein kleines Fenſterlein gewahrte, das dem Gefaͤngniſſe, in welchem einſt Popel Lobkowitz blutete, ſparſames Licht gab. Meine Harfe ſchwieg, ich dachte des ſchrecklichen Huſſitenkriegs, ich ſah rauben, pluͤndern, mor- den; ich zitterte, mein geſenktes Auge ſtarrte am Boden, und weigerte ſich, ferner umher zu blicken. Viele kleine Huͤgel, die in Grabesgeſtalt zu mei- nen Fuͤßen umher lagen, beſchaͤftigten es bald auf's neue, der Gedanke des Todes ward in mei- ner Seele rege. Wenn auch dein Koͤrper einſt ruhen und ſchlafen wird, dachte ſie jetzt und lei- tete die Augen nach jenen unermeßlichen Gefilden empor, in welchen ſie einſt zu wohnen hofte! Ich ſaß lange traurig und denkend, ich wollte mich zerſtreuen, blickte rechts, und die Ruinen des nahen Galgens, den Kaiſer Joſephs Gebot, gleich allen ſeinen Mitbruͤdern, zerſtoͤrt hatte, la- gen vor mir. Schnell durchbebte der Gedanke

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/18
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/18>, abgerufen am 28.03.2024.