Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie dies geschehen und verantwortet werden konn-
te, weiß ich nicht; aber daß es wirklich geschah,
ist ein bewährtes Faktum, weil am Ende das
Volk sich haufenweise ums Rathhaus versammlete,
des Unglücklichen Jammergeschrei nicht mehr hö-
ren wollte, und Gewalt zu brauchen drohte, wenn
man länger fortfahren würde, einen Menschen so
erbärmlich zu martern. Ob sein Weib und sein
Sohn mit einer ähnlichen Strenge behandelt?
ob sie, wie die allgemeine Sage gieng, wirklich
auf die Folter gespannt worden? kann ich nicht
gewiß behaupten, aber so viel ist erwiesen, daß
sie nichts gestanden, und daß der unglückliche
Friedrich die schrecklichen Schmerzen der Schläge
deswegen standhaft erduldete, weil er, seiner
Aussage nach, Weib und Kinder nicht einer ähn-
lichen Behandlung aussetzen wollte, wenn sie,
unschuldig an der That, nicht gutwillig gestehen
würden, was er zur Aenderung der beinahe un-
erträglichen Pein, zur Erlösung aus diesem Jam-
merthal sonst so gerne gestehen würde. Jetzt,
sprach er immer, wenn man ihn von der Marter-
bank losband, sehe ich's erst ein, wie Liebe zum
Weibe und Kindern stärken kann. Um mein Le-
ben zu retten, würde ich nicht zehne dieser Hen-
kerhiebe dulden; um jene zu retten, nicht in's
unverdiente Unglück zu stürzen, habe ich ihrer
schon so viele erduldet, und Gott wird mir Kraft
geben, auch noch in Zukunft für sie zu leiden,
oder wenigstens für ihre Rettung zu sterben.


Wie dies geſchehen und verantwortet werden konn-
te, weiß ich nicht; aber daß es wirklich geſchah,
iſt ein bewaͤhrtes Faktum, weil am Ende das
Volk ſich haufenweiſe ums Rathhaus verſammlete,
des Ungluͤcklichen Jammergeſchrei nicht mehr hoͤ-
ren wollte, und Gewalt zu brauchen drohte, wenn
man laͤnger fortfahren wuͤrde, einen Menſchen ſo
erbaͤrmlich zu martern. Ob ſein Weib und ſein
Sohn mit einer aͤhnlichen Strenge behandelt?
ob ſie, wie die allgemeine Sage gieng, wirklich
auf die Folter geſpannt worden? kann ich nicht
gewiß behaupten, aber ſo viel iſt erwieſen, daß
ſie nichts geſtanden, und daß der ungluͤckliche
Friedrich die ſchrecklichen Schmerzen der Schlaͤge
deswegen ſtandhaft erduldete, weil er, ſeiner
Ausſage nach, Weib und Kinder nicht einer aͤhn-
lichen Behandlung ausſetzen wollte, wenn ſie,
unſchuldig an der That, nicht gutwillig geſtehen
wuͤrden, was er zur Aenderung der beinahe un-
ertraͤglichen Pein, zur Erloͤſung aus dieſem Jam-
merthal ſonſt ſo gerne geſtehen wuͤrde. Jetzt,
ſprach er immer, wenn man ihn von der Marter-
bank losband, ſehe ich's erſt ein, wie Liebe zum
Weibe und Kindern ſtaͤrken kann. Um mein Le-
ben zu retten, wuͤrde ich nicht zehne dieſer Hen-
kerhiebe dulden; um jene zu retten, nicht in's
unverdiente Ungluͤck zu ſtuͤrzen, habe ich ihrer
ſchon ſo viele erduldet, und Gott wird mir Kraft
geben, auch noch in Zukunft fuͤr ſie zu leiden,
oder wenigſtens fuͤr ihre Rettung zu ſterben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0144" n="130"/>
Wie dies ge&#x017F;chehen und verantwortet werden konn-<lb/>
te,                     weiß ich nicht; aber daß es wirklich ge&#x017F;chah,<lb/>
i&#x017F;t ein bewa&#x0364;hrtes Faktum,                     weil am Ende das<lb/>
Volk &#x017F;ich haufenwei&#x017F;e ums Rathhaus ver&#x017F;ammlete,<lb/>
des                     Unglu&#x0364;cklichen Jammerge&#x017F;chrei nicht mehr ho&#x0364;-<lb/>
ren wollte, und Gewalt zu                     brauchen drohte, wenn<lb/>
man la&#x0364;nger fortfahren wu&#x0364;rde, einen Men&#x017F;chen                     &#x017F;o<lb/>
erba&#x0364;rmlich zu martern. Ob &#x017F;ein Weib und &#x017F;ein<lb/>
Sohn mit einer                     a&#x0364;hnlichen Strenge behandelt?<lb/>
ob &#x017F;ie, wie die allgemeine Sage gieng,                     wirklich<lb/>
auf die Folter ge&#x017F;pannt worden? kann ich nicht<lb/>
gewiß behaupten,                     aber &#x017F;o viel i&#x017F;t erwie&#x017F;en, daß<lb/>
&#x017F;ie nichts ge&#x017F;tanden, und daß der                     unglu&#x0364;ckliche<lb/>
Friedrich die &#x017F;chrecklichen Schmerzen der                     Schla&#x0364;ge<lb/>
deswegen &#x017F;tandhaft erduldete, weil er, &#x017F;einer<lb/>
Aus&#x017F;age nach,                     Weib und Kinder nicht einer a&#x0364;hn-<lb/>
lichen Behandlung aus&#x017F;etzen wollte, wenn                     &#x017F;ie,<lb/>
un&#x017F;chuldig an der That, nicht gutwillig ge&#x017F;tehen<lb/>
wu&#x0364;rden, was er                     zur Aenderung der beinahe un-<lb/>
ertra&#x0364;glichen Pein, zur Erlo&#x0364;&#x017F;ung aus die&#x017F;em                     Jam-<lb/>
merthal &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o gerne ge&#x017F;tehen wu&#x0364;rde. Jetzt,<lb/>
&#x017F;prach er immer,                     wenn man ihn von der Marter-<lb/>
bank losband, &#x017F;ehe ich's er&#x017F;t ein, wie Liebe                     zum<lb/>
Weibe und Kindern &#x017F;ta&#x0364;rken kann. Um mein Le-<lb/>
ben zu retten, wu&#x0364;rde                     ich nicht zehne die&#x017F;er Hen-<lb/>
kerhiebe dulden; um jene zu retten, nicht                     in's<lb/>
unverdiente Unglu&#x0364;ck zu &#x017F;tu&#x0364;rzen, habe ich ihrer<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;o viele                     erduldet, und Gott wird mir Kraft<lb/>
geben, auch noch in Zukunft fu&#x0364;r &#x017F;ie zu                     leiden,<lb/>
oder wenig&#x017F;tens fu&#x0364;r ihre Rettung zu &#x017F;terben.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0144] Wie dies geſchehen und verantwortet werden konn- te, weiß ich nicht; aber daß es wirklich geſchah, iſt ein bewaͤhrtes Faktum, weil am Ende das Volk ſich haufenweiſe ums Rathhaus verſammlete, des Ungluͤcklichen Jammergeſchrei nicht mehr hoͤ- ren wollte, und Gewalt zu brauchen drohte, wenn man laͤnger fortfahren wuͤrde, einen Menſchen ſo erbaͤrmlich zu martern. Ob ſein Weib und ſein Sohn mit einer aͤhnlichen Strenge behandelt? ob ſie, wie die allgemeine Sage gieng, wirklich auf die Folter geſpannt worden? kann ich nicht gewiß behaupten, aber ſo viel iſt erwieſen, daß ſie nichts geſtanden, und daß der ungluͤckliche Friedrich die ſchrecklichen Schmerzen der Schlaͤge deswegen ſtandhaft erduldete, weil er, ſeiner Ausſage nach, Weib und Kinder nicht einer aͤhn- lichen Behandlung ausſetzen wollte, wenn ſie, unſchuldig an der That, nicht gutwillig geſtehen wuͤrden, was er zur Aenderung der beinahe un- ertraͤglichen Pein, zur Erloͤſung aus dieſem Jam- merthal ſonſt ſo gerne geſtehen wuͤrde. Jetzt, ſprach er immer, wenn man ihn von der Marter- bank losband, ſehe ich's erſt ein, wie Liebe zum Weibe und Kindern ſtaͤrken kann. Um mein Le- ben zu retten, wuͤrde ich nicht zehne dieſer Hen- kerhiebe dulden; um jene zu retten, nicht in's unverdiente Ungluͤck zu ſtuͤrzen, habe ich ihrer ſchon ſo viele erduldet, und Gott wird mir Kraft geben, auch noch in Zukunft fuͤr ſie zu leiden, oder wenigſtens fuͤr ihre Rettung zu ſterben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/144
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/144>, abgerufen am 25.04.2024.