sich so viel auf die unbeschränkte Herrschaft, welche sie über ihren Gemahl, über alle ihr Näherstehenden ausübte, zu gute that; sie, die diese ganze Unterhand¬ lung nicht nur geleitet, sondern auch den ersten Im¬ puls dazu gegeben, Felix zuerst den Vorschlag gemacht, Felix die Bedingungen gestellt hatte -- Bedingungen, denen jener zum Theil schon nachgekommen war! . . . Es war eine schwere Aufgabe für die selbstische, herrschsüchtige Frau!
Wie bereute sie es jetzt, den Brief unterschlagen zu haben! Sie hatte nicht viel mehr daraus gelernt, als was sie nicht so schon wußte, und wie viel hatte sie sich vergeben! Sie durfte jetzt nicht mit voller Strenge gegen Helenen auftreten; durfte ihre "unkind¬ liche Gesinnung", ihre "lächerliche Bevorzugung -- um die Sache nicht schlimmer zu bezeichnen -- dieses Stein" dem Baron gegenüber nicht zu sehr hervor¬ heben. Sie wußte, daß er -- besonders in seiner jetzigen Stimmung -- einen solchen Vertrauensbruch niemals sanctioniren würde. Ja selbst gegen Felix, ihren Vertrauten, durfte sie nicht ganz offen sein. Sie mußte ihm sagen, daß sie die Schlacht verloren habe, und hatte nicht einmal den Trost, ihm beweisen zu können, daß es nur durch einen unglücklichen Zu¬ fall geschehen sei.
ſich ſo viel auf die unbeſchränkte Herrſchaft, welche ſie über ihren Gemahl, über alle ihr Näherſtehenden ausübte, zu gute that; ſie, die dieſe ganze Unterhand¬ lung nicht nur geleitet, ſondern auch den erſten Im¬ puls dazu gegeben, Felix zuerſt den Vorſchlag gemacht, Felix die Bedingungen geſtellt hatte — Bedingungen, denen jener zum Theil ſchon nachgekommen war! . . . Es war eine ſchwere Aufgabe für die ſelbſtiſche, herrſchſüchtige Frau!
Wie bereute ſie es jetzt, den Brief unterſchlagen zu haben! Sie hatte nicht viel mehr daraus gelernt, als was ſie nicht ſo ſchon wußte, und wie viel hatte ſie ſich vergeben! Sie durfte jetzt nicht mit voller Strenge gegen Helenen auftreten; durfte ihre „unkind¬ liche Geſinnung“, ihre „lächerliche Bevorzugung — um die Sache nicht ſchlimmer zu bezeichnen — dieſes Stein“ dem Baron gegenüber nicht zu ſehr hervor¬ heben. Sie wußte, daß er — beſonders in ſeiner jetzigen Stimmung — einen ſolchen Vertrauensbruch niemals ſanctioniren würde. Ja ſelbſt gegen Felix, ihren Vertrauten, durfte ſie nicht ganz offen ſein. Sie mußte ihm ſagen, daß ſie die Schlacht verloren habe, und hatte nicht einmal den Troſt, ihm beweiſen zu können, daß es nur durch einen unglücklichen Zu¬ fall geſchehen ſei.
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ſich ſo viel auf die unbeſchränkte Herrſchaft, welche
ſie über ihren Gemahl, über alle ihr Näherſtehenden
ausübte, zu gute that; ſie, die dieſe ganze Unterhand¬
lung nicht nur geleitet, ſondern auch den erſten Im¬
puls dazu gegeben, Felix zuerſt den Vorſchlag gemacht,
Felix die Bedingungen geſtellt hatte — Bedingungen,
denen jener zum Theil ſchon nachgekommen war! . . .
Es war eine ſchwere Aufgabe für die ſelbſtiſche,
herrſchſüchtige Frau!
Wie bereute ſie es jetzt, den Brief unterſchlagen
zu haben! Sie hatte nicht viel mehr daraus gelernt,
als was ſie nicht ſo ſchon wußte, und wie viel hatte
ſie ſich vergeben! Sie durfte jetzt nicht mit voller
Strenge gegen Helenen auftreten; durfte ihre „unkind¬
liche Geſinnung“, ihre „lächerliche Bevorzugung —
um die Sache nicht ſchlimmer zu bezeichnen — dieſes
Stein“ dem Baron gegenüber nicht zu ſehr hervor¬
heben. Sie wußte, daß er — beſonders in ſeiner
jetzigen Stimmung — einen ſolchen Vertrauensbruch
niemals ſanctioniren würde. Ja ſelbſt gegen Felix,
ihren Vertrauten, durfte ſie nicht ganz offen ſein.
Sie mußte ihm ſagen, daß ſie die Schlacht verloren
habe, und hatte nicht einmal den Troſt, ihm beweiſen
zu können, daß es nur durch einen unglücklichen Zu¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/232>, abgerufen am 22.12.2024.
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