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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

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Alles stürmte auf sie ein, wie ein Orkan, der selbst
ihre Kraft zu überwältigen drohte.

Und dies letzte Gefühl des beleidigten Stolzes fand
zuerst einen Ausdruck.

"Ich danke Ihnen;" sagte sie, sich zu ihrer gan¬
zen stattlichen Höhe emporrichtend, "für Ihren Eifer,
mir zu dienen. Indessen, Sie und Bruno haben der
Sache, wie es scheint, ein viel größeres Gewicht bei¬
gelegt, als sie in der That verdient. Ich habe diesen
Brief, weil Einiges darin stand, was ich nach reiflicher
Ueberlegung nicht gutheißen konnte, geflissentlich nicht
abgehen lassen; ich werde ihn aus der Tasche verloren
haben. Ich erinnere mich, daß ich gestern Abend in
der Nähe der Kapelle war; ich --"

Weiter konnte sie nicht sprechen; die Thränen, die
sie so lange zurückgehalten, brachen gewaltsam hervor,
und rollten über ihre Wangen. Sie wandte sich ab,
als sie fühlte, daß sie sich nicht beherrschen konnte,
und winkte Oswald mit der Hand, sie allein zu lassen.

Oswald war vielleicht nicht weniger außer sich,
als Helene. All seine Liebe zu dem schönen, stolzen
Mädchen, für das er so freudig sein Leben hingegeben
hätte und von dem er jetzt so verkannt zu werden
fürchten mußte, wogte wie ein siedend heißer Quell
in ihm empor, und erfüllte seine Brust bis zum Zer¬

Alles ſtürmte auf ſie ein, wie ein Orkan, der ſelbſt
ihre Kraft zu überwältigen drohte.

Und dies letzte Gefühl des beleidigten Stolzes fand
zuerſt einen Ausdruck.

„Ich danke Ihnen;“ ſagte ſie, ſich zu ihrer gan¬
zen ſtattlichen Höhe emporrichtend, „für Ihren Eifer,
mir zu dienen. Indeſſen, Sie und Bruno haben der
Sache, wie es ſcheint, ein viel größeres Gewicht bei¬
gelegt, als ſie in der That verdient. Ich habe dieſen
Brief, weil Einiges darin ſtand, was ich nach reiflicher
Ueberlegung nicht gutheißen konnte, gefliſſentlich nicht
abgehen laſſen; ich werde ihn aus der Taſche verloren
haben. Ich erinnere mich, daß ich geſtern Abend in
der Nähe der Kapelle war; ich —“

Weiter konnte ſie nicht ſprechen; die Thränen, die
ſie ſo lange zurückgehalten, brachen gewaltſam hervor,
und rollten über ihre Wangen. Sie wandte ſich ab,
als ſie fühlte, daß ſie ſich nicht beherrſchen konnte,
und winkte Oswald mit der Hand, ſie allein zu laſſen.

Oswald war vielleicht nicht weniger außer ſich,
als Helene. All ſeine Liebe zu dem ſchönen, ſtolzen
Mädchen, für das er ſo freudig ſein Leben hingegeben
hätte und von dem er jetzt ſo verkannt zu werden
fürchten mußte, wogte wie ein ſiedend heißer Quell
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[200/0210] Alles ſtürmte auf ſie ein, wie ein Orkan, der ſelbſt ihre Kraft zu überwältigen drohte. Und dies letzte Gefühl des beleidigten Stolzes fand zuerſt einen Ausdruck. „Ich danke Ihnen;“ ſagte ſie, ſich zu ihrer gan¬ zen ſtattlichen Höhe emporrichtend, „für Ihren Eifer, mir zu dienen. Indeſſen, Sie und Bruno haben der Sache, wie es ſcheint, ein viel größeres Gewicht bei¬ gelegt, als ſie in der That verdient. Ich habe dieſen Brief, weil Einiges darin ſtand, was ich nach reiflicher Ueberlegung nicht gutheißen konnte, gefliſſentlich nicht abgehen laſſen; ich werde ihn aus der Taſche verloren haben. Ich erinnere mich, daß ich geſtern Abend in der Nähe der Kapelle war; ich —“ Weiter konnte ſie nicht ſprechen; die Thränen, die ſie ſo lange zurückgehalten, brachen gewaltſam hervor, und rollten über ihre Wangen. Sie wandte ſich ab, als ſie fühlte, daß ſie ſich nicht beherrſchen konnte, und winkte Oswald mit der Hand, ſie allein zu laſſen. Oswald war vielleicht nicht weniger außer ſich, als Helene. All ſeine Liebe zu dem ſchönen, ſtolzen Mädchen, für das er ſo freudig ſein Leben hingegeben hätte und von dem er jetzt ſo verkannt zu werden fürchten mußte, wogte wie ein ſiedend heißer Quell in ihm empor, und erfüllte ſeine Bruſt bis zum Zer¬

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/210>, abgerufen am 24.05.2024.