hier, dessen Aufschrift von Ihrer Hand ist, der Ihnen also ohne Zweifel gehört, hat Bruno vorgestern Abend gefunden, an der Kapelle, unmittelbar nach einer Un¬ terredung, welche die Baronin mit Baron Felix über Familienangelegenheiten auf derselben Stelle gehabt hatte, und die Bruno, der sich zufällig in der Kapelle befand, mit anzuhören nicht umhin konnte. Er hat mich gebeten, Ihnen Ihr Eigenthum wieder zuzustellen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß es von dem Augenblick an, wo es in Bruno's Hände gelangte, heilig gehalten worden ist."
Helenen's Verwirrung war mit jedem Worte, das Oswald sprach, größer geworden. Purpurgluth wechselte auf ihrem schönen Angesicht mit einer geisterhaften Blässe. Ihr Busen wogte; ihre Hand zitterte, als sie den Brief, den ihr der junge Mann überreichte, und auf den sie nur einen Blick zu werfen brauchte, um ihn als denselben zu erkennen, den sie gestern Morgen an Mary Burton geschrieben hatte, entgegen¬ nahm. Entsetzen über den schwarzen Verrath, den man an ihr geübt; jungfräuliche Scham, ihre inner¬ sten geheimsten Gedanken schonungslos profanirt zu sehen; der Unwille, daß Jemand, er sei wer er sei, erfahren habe, wie sie von den Ihrigen, von ihrer eigenen Mutter schmachvoll behandelt worden sei --
hier, deſſen Aufſchrift von Ihrer Hand iſt, der Ihnen alſo ohne Zweifel gehört, hat Bruno vorgeſtern Abend gefunden, an der Kapelle, unmittelbar nach einer Un¬ terredung, welche die Baronin mit Baron Felix über Familienangelegenheiten auf derſelben Stelle gehabt hatte, und die Bruno, der ſich zufällig in der Kapelle befand, mit anzuhören nicht umhin konnte. Er hat mich gebeten, Ihnen Ihr Eigenthum wieder zuzuſtellen. Ich brauche Ihnen nicht zu ſagen, daß es von dem Augenblick an, wo es in Bruno's Hände gelangte, heilig gehalten worden iſt.“
Helenen's Verwirrung war mit jedem Worte, das Oswald ſprach, größer geworden. Purpurgluth wechſelte auf ihrem ſchönen Angeſicht mit einer geiſterhaften Bläſſe. Ihr Buſen wogte; ihre Hand zitterte, als ſie den Brief, den ihr der junge Mann überreichte, und auf den ſie nur einen Blick zu werfen brauchte, um ihn als denſelben zu erkennen, den ſie geſtern Morgen an Mary Burton geſchrieben hatte, entgegen¬ nahm. Entſetzen über den ſchwarzen Verrath, den man an ihr geübt; jungfräuliche Scham, ihre inner¬ ſten geheimſten Gedanken ſchonungslos profanirt zu ſehen; der Unwille, daß Jemand, er ſei wer er ſei, erfahren habe, wie ſie von den Ihrigen, von ihrer eigenen Mutter ſchmachvoll behandelt worden ſei —
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[199/0209]
hier, deſſen Aufſchrift von Ihrer Hand iſt, der Ihnen
alſo ohne Zweifel gehört, hat Bruno vorgeſtern Abend
gefunden, an der Kapelle, unmittelbar nach einer Un¬
terredung, welche die Baronin mit Baron Felix über
Familienangelegenheiten auf derſelben Stelle gehabt
hatte, und die Bruno, der ſich zufällig in der Kapelle
befand, mit anzuhören nicht umhin konnte. Er hat
mich gebeten, Ihnen Ihr Eigenthum wieder zuzuſtellen.
Ich brauche Ihnen nicht zu ſagen, daß es von dem
Augenblick an, wo es in Bruno's Hände gelangte,
heilig gehalten worden iſt.“
Helenen's Verwirrung war mit jedem Worte, das
Oswald ſprach, größer geworden. Purpurgluth wechſelte
auf ihrem ſchönen Angeſicht mit einer geiſterhaften
Bläſſe. Ihr Buſen wogte; ihre Hand zitterte, als
ſie den Brief, den ihr der junge Mann überreichte,
und auf den ſie nur einen Blick zu werfen brauchte,
um ihn als denſelben zu erkennen, den ſie geſtern
Morgen an Mary Burton geſchrieben hatte, entgegen¬
nahm. Entſetzen über den ſchwarzen Verrath, den
man an ihr geübt; jungfräuliche Scham, ihre inner¬
ſten geheimſten Gedanken ſchonungslos profanirt zu
ſehen; der Unwille, daß Jemand, er ſei wer er ſei,
erfahren habe, wie ſie von den Ihrigen, von ihrer
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/209>, abgerufen am 22.12.2024.
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