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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

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springen. Er hätte ihr zu Füßen stürzen, ihr Alles,
Alles, was er so lange vor ihr verborgen, gestehen
mögen; aber er bezwang sich mit einer übernatür¬
lichen Anstrengung und sagte so ruhig als er ver¬
mochte:

"Ich versichere Sie, mein Fräulein, daß diese
Scene Ihnen kaum peinlicher sein kann, wie mir
selbst, und daß ich dieselbe um keinen Preis herbei¬
geführt haben würde, wenn mir Bruno's fieberhafte
Ungeduld, die ich durch eine Weigerung zu steigern
fürchten mußte, eine Wahl gelassen hätte. Es ist mir
schmerzlich, sehr schmerzlich, von Ihnen verkannt zu
werden; ich ahnte es gleich, daß es Ihnen unmöglich
sein würde, den Boten von seiner Botschaft zu trennen."

Er verbeugte sich vor dem noch immer weinenden
Mädchen, und wandte sich, zu gehen.

"Nein, nein!" rief sie, wie, um ihn zurückzuhalten,
die Hand nach ihm ausstreckend; "Sie dürfen so nicht
gehen. Mögen es Die verantworten, die mich zum
Aeußersten getrieben haben, wenn ich die Ehre meiner
Familie, die Ehre der Meinigen preisgeben muß. Ja,
Sie haben mir einen Dienst geleistet, einen großen
Dienst. Dieser Brief ist nur durch Verrath in die
Hände Derer gekommen, die ihren Raub so schlecht
zu bewahren verstanden. Dieser Brief trennt mich

ſpringen. Er hätte ihr zu Füßen ſtürzen, ihr Alles,
Alles, was er ſo lange vor ihr verborgen, geſtehen
mögen; aber er bezwang ſich mit einer übernatür¬
lichen Anſtrengung und ſagte ſo ruhig als er ver¬
mochte:

„Ich verſichere Sie, mein Fräulein, daß dieſe
Scene Ihnen kaum peinlicher ſein kann, wie mir
ſelbſt, und daß ich dieſelbe um keinen Preis herbei¬
geführt haben würde, wenn mir Bruno's fieberhafte
Ungeduld, die ich durch eine Weigerung zu ſteigern
fürchten mußte, eine Wahl gelaſſen hätte. Es iſt mir
ſchmerzlich, ſehr ſchmerzlich, von Ihnen verkannt zu
werden; ich ahnte es gleich, daß es Ihnen unmöglich
ſein würde, den Boten von ſeiner Botſchaft zu trennen.“

Er verbeugte ſich vor dem noch immer weinenden
Mädchen, und wandte ſich, zu gehen.

„Nein, nein!“ rief ſie, wie, um ihn zurückzuhalten,
die Hand nach ihm ausſtreckend; „Sie dürfen ſo nicht
gehen. Mögen es Die verantworten, die mich zum
Aeußerſten getrieben haben, wenn ich die Ehre meiner
Familie, die Ehre der Meinigen preisgeben muß. Ja,
Sie haben mir einen Dienſt geleiſtet, einen großen
Dienſt. Dieſer Brief iſt nur durch Verrath in die
Hände Derer gekommen, die ihren Raub ſo ſchlecht
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[201/0211] ſpringen. Er hätte ihr zu Füßen ſtürzen, ihr Alles, Alles, was er ſo lange vor ihr verborgen, geſtehen mögen; aber er bezwang ſich mit einer übernatür¬ lichen Anſtrengung und ſagte ſo ruhig als er ver¬ mochte: „Ich verſichere Sie, mein Fräulein, daß dieſe Scene Ihnen kaum peinlicher ſein kann, wie mir ſelbſt, und daß ich dieſelbe um keinen Preis herbei¬ geführt haben würde, wenn mir Bruno's fieberhafte Ungeduld, die ich durch eine Weigerung zu ſteigern fürchten mußte, eine Wahl gelaſſen hätte. Es iſt mir ſchmerzlich, ſehr ſchmerzlich, von Ihnen verkannt zu werden; ich ahnte es gleich, daß es Ihnen unmöglich ſein würde, den Boten von ſeiner Botſchaft zu trennen.“ Er verbeugte ſich vor dem noch immer weinenden Mädchen, und wandte ſich, zu gehen. „Nein, nein!“ rief ſie, wie, um ihn zurückzuhalten, die Hand nach ihm ausſtreckend; „Sie dürfen ſo nicht gehen. Mögen es Die verantworten, die mich zum Aeußerſten getrieben haben, wenn ich die Ehre meiner Familie, die Ehre der Meinigen preisgeben muß. Ja, Sie haben mir einen Dienſt geleiſtet, einen großen Dienſt. Dieſer Brief iſt nur durch Verrath in die Hände Derer gekommen, die ihren Raub ſo ſchlecht zu bewahren verſtanden. Dieſer Brief trennt mich

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/211>, abgerufen am 22.12.2024.