auf Bruno gegen viel ältere und scheinbar gefährli¬ chere Gegner gewettet haben. Die klassische Statue eines Merkur, oder eines Bacchos oder jugendlichen Faun konnte nicht zarter gegliedert, nicht ebenmäßiger geformt sein, als Bruno's schlanker und bei aller Schlankheit starker Körper. Für Jemand, der ein Auge hat für die Schönheit, die sich in der Bewegung entwickelt, war es schon eine Lust, den Knaben nur gehen zu sehen. Oswald, dem die Natur ein solches Auge verliehen hatte, war entzückt, wenn er Bruno bei dem Baden am Strande des Meeres beobachten durfte, wie der Knabe von einem Felsblock zum an¬ dern sprang, mit einer Sicherheit, die das Gefühl der Furcht gar nicht aufkommen ließ, bis er den am weitesten hinausliegenden erreichte, von dem er sich kopfüber in die Wellen stürzte. Dabei war für Bruno eine Gefahr nicht vorhanden, oder vielmehr: er wollte nicht, daß dergleichen für ihn existire. Wenn es irgend etwas auszuführen gab, das Andere auszuführen An¬ stand nahmen: ein durchgehendes Pferd aufzuhalten, eine Kirsche von dem obersten Gipfel eines hohen Baumes zu holen, über einen Graben zu springen, der ohne Brücke nicht zu passiren schien -- Bruno mußte das Wagstück unternehmen; er zitterte vor Ver¬ langen, seine Wange glühte; er warf einen bittenden
auf Bruno gegen viel ältere und ſcheinbar gefährli¬ chere Gegner gewettet haben. Die klaſſiſche Statue eines Merkur, oder eines Bacchos oder jugendlichen Faun konnte nicht zarter gegliedert, nicht ebenmäßiger geformt ſein, als Bruno's ſchlanker und bei aller Schlankheit ſtarker Körper. Für Jemand, der ein Auge hat für die Schönheit, die ſich in der Bewegung entwickelt, war es ſchon eine Luſt, den Knaben nur gehen zu ſehen. Oswald, dem die Natur ein ſolches Auge verliehen hatte, war entzückt, wenn er Bruno bei dem Baden am Strande des Meeres beobachten durfte, wie der Knabe von einem Felsblock zum an¬ dern ſprang, mit einer Sicherheit, die das Gefühl der Furcht gar nicht aufkommen ließ, bis er den am weiteſten hinausliegenden erreichte, von dem er ſich kopfüber in die Wellen ſtürzte. Dabei war für Bruno eine Gefahr nicht vorhanden, oder vielmehr: er wollte nicht, daß dergleichen für ihn exiſtire. Wenn es irgend etwas auszuführen gab, das Andere auszuführen An¬ ſtand nahmen: ein durchgehendes Pferd aufzuhalten, eine Kirſche von dem oberſten Gipfel eines hohen Baumes zu holen, über einen Graben zu ſpringen, der ohne Brücke nicht zu paſſiren ſchien — Bruno mußte das Wagſtück unternehmen; er zitterte vor Ver¬ langen, ſeine Wange glühte; er warf einen bittenden
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auf Bruno gegen viel ältere und ſcheinbar gefährli¬
chere Gegner gewettet haben. Die klaſſiſche Statue
eines Merkur, oder eines Bacchos oder jugendlichen
Faun konnte nicht zarter gegliedert, nicht ebenmäßiger
geformt ſein, als Bruno's ſchlanker und bei aller
Schlankheit ſtarker Körper. Für Jemand, der ein
Auge hat für die Schönheit, die ſich in der Bewegung
entwickelt, war es ſchon eine Luſt, den Knaben nur
gehen zu ſehen. Oswald, dem die Natur ein ſolches
Auge verliehen hatte, war entzückt, wenn er Bruno
bei dem Baden am Strande des Meeres beobachten
durfte, wie der Knabe von einem Felsblock zum an¬
dern ſprang, mit einer Sicherheit, die das Gefühl
der Furcht gar nicht aufkommen ließ, bis er den am
weiteſten hinausliegenden erreichte, von dem er ſich
kopfüber in die Wellen ſtürzte. Dabei war für Bruno
eine Gefahr nicht vorhanden, oder vielmehr: er wollte
nicht, daß dergleichen für ihn exiſtire. Wenn es irgend
etwas auszuführen gab, das Andere auszuführen An¬
ſtand nahmen: ein durchgehendes Pferd aufzuhalten,
eine Kirſche von dem oberſten Gipfel eines hohen
Baumes zu holen, über einen Graben zu ſpringen,
der ohne Brücke nicht zu paſſiren ſchien — Bruno
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/190>, abgerufen am 22.12.2024.
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