Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Blick auf die, welche er lieb hatte, und man mußte
ihn gewähren lassen und ließ ihn gewähren, weil man
sich sagte: er kann mehr als die Uebrigen.

So war Bruno: ein Jüngling mehr, wie ein
Knabe, mit einem Herzen, an dessen Feuer sich eine
todte Welt hätte beleben können.

So sah er Helenen.

Und alle Melodien, die in ihm geschlummert hatten,
erklangen, und Alles, was er bisher Schönstes und
Lieblichstes geträumt hatte, stand wahr und wirklich,
verkörpert vor ihm. Der Knabe traute seinen Augen
kaum; er war wie geblendet, wie trunken; er war wie
Jemand, der aus einem schönen Traum zur schöneren
Wirklichkeit erwacht und nicht zu sprechen, ja kaum
zu athmen wagt, um das, was er noch immer halb
und halb für eine Sinnentäuschung hält, nicht zu ver¬
scheuchen. So ging er in den ersten Tagen nach der
Rückkehr der Familie wie im Traum umher, gegen
die Gewohnheit mild und freundlich gegen Alle. Dann
aber schwand die Traumesseligkeit, und das Entzücken
über die köstliche Wirklichkeit wurde zum Schmerz.
Ruhe hatte er nie gehabt, und leicht war sein Herz
nie gewesen; aber jetzt folterte ihn eine Unrast, die
ihm Schlaf und Hunger und Durst verscheuchte, die
wie ein wildes Fieber in ihm brannte, und sein armes

Blick auf die, welche er lieb hatte, und man mußte
ihn gewähren laſſen und ließ ihn gewähren, weil man
ſich ſagte: er kann mehr als die Uebrigen.

So war Bruno: ein Jüngling mehr, wie ein
Knabe, mit einem Herzen, an deſſen Feuer ſich eine
todte Welt hätte beleben können.

So ſah er Helenen.

Und alle Melodien, die in ihm geſchlummert hatten,
erklangen, und Alles, was er bisher Schönſtes und
Lieblichſtes geträumt hatte, ſtand wahr und wirklich,
verkörpert vor ihm. Der Knabe traute ſeinen Augen
kaum; er war wie geblendet, wie trunken; er war wie
Jemand, der aus einem ſchönen Traum zur ſchöneren
Wirklichkeit erwacht und nicht zu ſprechen, ja kaum
zu athmen wagt, um das, was er noch immer halb
und halb für eine Sinnentäuſchung hält, nicht zu ver¬
ſcheuchen. So ging er in den erſten Tagen nach der
Rückkehr der Familie wie im Traum umher, gegen
die Gewohnheit mild und freundlich gegen Alle. Dann
aber ſchwand die Traumesſeligkeit, und das Entzücken
über die köſtliche Wirklichkeit wurde zum Schmerz.
Ruhe hatte er nie gehabt, und leicht war ſein Herz
nie geweſen; aber jetzt folterte ihn eine Unraſt, die
ihm Schlaf und Hunger und Durſt verſcheuchte, die
wie ein wildes Fieber in ihm brannte, und ſein armes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0191" n="181"/>
Blick auf die, welche er lieb hatte, und man mußte<lb/>
ihn gewähren la&#x017F;&#x017F;en und ließ ihn gewähren, weil man<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;agte: er kann mehr als die Uebrigen.</p><lb/>
        <p>So war Bruno: ein Jüngling mehr, wie ein<lb/>
Knabe, mit einem Herzen, an de&#x017F;&#x017F;en Feuer &#x017F;ich eine<lb/>
todte Welt hätte beleben können.</p><lb/>
        <p>So &#x017F;ah er Helenen.</p><lb/>
        <p>Und alle Melodien, die in ihm ge&#x017F;chlummert hatten,<lb/>
erklangen, und Alles, was er bisher Schön&#x017F;tes und<lb/>
Lieblich&#x017F;tes geträumt hatte, &#x017F;tand wahr und wirklich,<lb/>
verkörpert vor ihm. Der Knabe traute &#x017F;einen Augen<lb/>
kaum; er war wie geblendet, wie trunken; er war wie<lb/>
Jemand, der aus einem &#x017F;chönen Traum zur &#x017F;chöneren<lb/>
Wirklichkeit erwacht und nicht zu &#x017F;prechen, ja kaum<lb/>
zu athmen wagt, um das, was er noch immer halb<lb/>
und halb für eine Sinnentäu&#x017F;chung hält, nicht zu ver¬<lb/>
&#x017F;cheuchen. So ging er in den er&#x017F;ten Tagen nach der<lb/>
Rückkehr der Familie wie im Traum umher, gegen<lb/>
die Gewohnheit mild und freundlich gegen Alle. Dann<lb/>
aber &#x017F;chwand die Traumes&#x017F;eligkeit, und das Entzücken<lb/>
über die kö&#x017F;tliche Wirklichkeit wurde zum Schmerz.<lb/>
Ruhe hatte er nie gehabt, und leicht war &#x017F;ein Herz<lb/>
nie gewe&#x017F;en; aber jetzt folterte ihn eine Unra&#x017F;t, die<lb/>
ihm Schlaf und Hunger und Dur&#x017F;t ver&#x017F;cheuchte, die<lb/>
wie ein wildes Fieber in ihm brannte, und &#x017F;ein armes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0191] Blick auf die, welche er lieb hatte, und man mußte ihn gewähren laſſen und ließ ihn gewähren, weil man ſich ſagte: er kann mehr als die Uebrigen. So war Bruno: ein Jüngling mehr, wie ein Knabe, mit einem Herzen, an deſſen Feuer ſich eine todte Welt hätte beleben können. So ſah er Helenen. Und alle Melodien, die in ihm geſchlummert hatten, erklangen, und Alles, was er bisher Schönſtes und Lieblichſtes geträumt hatte, ſtand wahr und wirklich, verkörpert vor ihm. Der Knabe traute ſeinen Augen kaum; er war wie geblendet, wie trunken; er war wie Jemand, der aus einem ſchönen Traum zur ſchöneren Wirklichkeit erwacht und nicht zu ſprechen, ja kaum zu athmen wagt, um das, was er noch immer halb und halb für eine Sinnentäuſchung hält, nicht zu ver¬ ſcheuchen. So ging er in den erſten Tagen nach der Rückkehr der Familie wie im Traum umher, gegen die Gewohnheit mild und freundlich gegen Alle. Dann aber ſchwand die Traumesſeligkeit, und das Entzücken über die köſtliche Wirklichkeit wurde zum Schmerz. Ruhe hatte er nie gehabt, und leicht war ſein Herz nie geweſen; aber jetzt folterte ihn eine Unraſt, die ihm Schlaf und Hunger und Durſt verſcheuchte, die wie ein wildes Fieber in ihm brannte, und ſein armes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/191
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/191>, abgerufen am 16.07.2024.