sie Knaben, die schon beinahe Jünglinge sind, noch als Kinder behandeln dürfen, daß sie sich mit ihnen kleine Freiheiten erlauben können, die schon in ganz kurzer Zeit sehr große Freiheiten sein würden. Sie bedenken nicht, daß die Sinnlichkeit in dieser Zeit ein Schlaf in der Morgendämmerung ist, den die leiseste Störung verscheuchen kann; daß die Begierde in dieser Periode wie ein Feuer ist, das in grünem Holze lang¬ sam fortglüht und bei dem geringsten Windstoß in heller Lohe emporflammt. Sie würden außer sich sein, wenn man ihnen sagte, daß sie in aller Unschuld eine Unschuld für immer zerstört haben; und doch ist es nur zu oft der Fall.
Melitta selbst sah zuletzt ein, daß sie Bruno nicht länger, wie sie es bisher gethan, mit Julius oder auch nur mit Malte auf eine Stufe stellen dürfe; und wenn sie jetzt "von den Knaben" sprach, so meinte sie damit vorzüglich die beiden letzteren. Sie hatte angefangen, Bruno wie einen Freund, wie einen jun¬ gen Bruder zu behandeln, wie einen Pagen, den man noch halbe Frauendienste thun läßt, von dem man aber weiß, daß man sich im Fall der Noth auf sein muthiges Herz und seinen starken Arm verlassen könnte. Und in der That, ein Kenner würde in einem Ring¬ kampf, in irgend einer athletischen Uebung unbedingt
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ſie Knaben, die ſchon beinahe Jünglinge ſind, noch als Kinder behandeln dürfen, daß ſie ſich mit ihnen kleine Freiheiten erlauben können, die ſchon in ganz kurzer Zeit ſehr große Freiheiten ſein würden. Sie bedenken nicht, daß die Sinnlichkeit in dieſer Zeit ein Schlaf in der Morgendämmerung iſt, den die leiſeſte Störung verſcheuchen kann; daß die Begierde in dieſer Periode wie ein Feuer iſt, das in grünem Holze lang¬ ſam fortglüht und bei dem geringſten Windſtoß in heller Lohe emporflammt. Sie würden außer ſich ſein, wenn man ihnen ſagte, daß ſie in aller Unſchuld eine Unſchuld für immer zerſtört haben; und doch iſt es nur zu oft der Fall.
Melitta ſelbſt ſah zuletzt ein, daß ſie Bruno nicht länger, wie ſie es bisher gethan, mit Julius oder auch nur mit Malte auf eine Stufe ſtellen dürfe; und wenn ſie jetzt „von den Knaben“ ſprach, ſo meinte ſie damit vorzüglich die beiden letzteren. Sie hatte angefangen, Bruno wie einen Freund, wie einen jun¬ gen Bruder zu behandeln, wie einen Pagen, den man noch halbe Frauendienſte thun läßt, von dem man aber weiß, daß man ſich im Fall der Noth auf ſein muthiges Herz und ſeinen ſtarken Arm verlaſſen könnte. Und in der That, ein Kenner würde in einem Ring¬ kampf, in irgend einer athletiſchen Uebung unbedingt
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ſie Knaben, die ſchon beinahe Jünglinge ſind, noch
als Kinder behandeln dürfen, daß ſie ſich mit ihnen
kleine Freiheiten erlauben können, die ſchon in ganz
kurzer Zeit ſehr große Freiheiten ſein würden. Sie
bedenken nicht, daß die Sinnlichkeit in dieſer Zeit ein
Schlaf in der Morgendämmerung iſt, den die leiſeſte
Störung verſcheuchen kann; daß die Begierde in dieſer
Periode wie ein Feuer iſt, das in grünem Holze lang¬
ſam fortglüht und bei dem geringſten Windſtoß in
heller Lohe emporflammt. Sie würden außer ſich
ſein, wenn man ihnen ſagte, daß ſie in aller Unſchuld
eine Unſchuld für immer zerſtört haben; und doch iſt
es nur zu oft der Fall.
Melitta ſelbſt ſah zuletzt ein, daß ſie Bruno nicht
länger, wie ſie es bisher gethan, mit Julius oder
auch nur mit Malte auf eine Stufe ſtellen dürfe;
und wenn ſie jetzt „von den Knaben“ ſprach, ſo meinte
ſie damit vorzüglich die beiden letzteren. Sie hatte
angefangen, Bruno wie einen Freund, wie einen jun¬
gen Bruder zu behandeln, wie einen Pagen, den man
noch halbe Frauendienſte thun läßt, von dem man
aber weiß, daß man ſich im Fall der Noth auf ſein
muthiges Herz und ſeinen ſtarken Arm verlaſſen könnte.
Und in der That, ein Kenner würde in einem Ring¬
kampf, in irgend einer athletiſchen Uebung unbedingt
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/189>, abgerufen am 22.12.2024.
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