werde sich nie um ihre Correspondenz kümmern, eine Wahrheit sei, geschrieben, und in dem vollen Ver¬ trauen auf die Heiligkeit des Briefgeheimnisses ihrem Kammermädchen übergeben hatte mit dem Auftrage, ihn in die Küche zu tragen, wo der Postbote sich an einer Tasse Kaffe erquickte. Das Mädchen war der Baronin auf dem Flur begegnet, und von dieser ge¬ fragt worden, von wem der Brief sei? Auf die Ant¬ wort: von dem gnädigen Fräulein; hatte die Baronin sich den Brief geben lassen, mit der Weisung, den Postboten hernach zu ihr auf's Zimmer zu senden, da sie selbst noch mehre Aufträge für ihn habe.
So war Helenen's Brief in die Hände der Mut¬ ter gekommen. Es war ein Zufall, einer jener Zufälle, den böse Dämonen eigens in der Absicht herbeizu¬ führen scheinen, ein so schon den Mächten der Fin¬ sterniß mehr als denen des Lichts zugethanes Gemüth gänzlich verwirren und vom rechten Pfade wegzulocken. Ohne diesen Zufall wäre die Baronin vielleicht nie auf den Gedanken gekommen, sich auf diesem krum¬ men Wege in das Herz ihrer Tochter zu stehlen. Aber das Projekt der Heirath Helenen's mit Felix war bei ihr, wie es bei selbstischen und eigenwilligen Naturen zu geschehen pflegt, zur fixen Idee geworden. Der Gesundheitszustand ihres Gemals erschien ihr --
werde ſich nie um ihre Correſpondenz kümmern, eine Wahrheit ſei, geſchrieben, und in dem vollen Ver¬ trauen auf die Heiligkeit des Briefgeheimniſſes ihrem Kammermädchen übergeben hatte mit dem Auftrage, ihn in die Küche zu tragen, wo der Poſtbote ſich an einer Taſſe Kaffe erquickte. Das Mädchen war der Baronin auf dem Flur begegnet, und von dieſer ge¬ fragt worden, von wem der Brief ſei? Auf die Ant¬ wort: von dem gnädigen Fräulein; hatte die Baronin ſich den Brief geben laſſen, mit der Weiſung, den Poſtboten hernach zu ihr auf's Zimmer zu ſenden, da ſie ſelbſt noch mehre Aufträge für ihn habe.
So war Helenen's Brief in die Hände der Mut¬ ter gekommen. Es war ein Zufall, einer jener Zufälle, den böſe Dämonen eigens in der Abſicht herbeizu¬ führen ſcheinen, ein ſo ſchon den Mächten der Fin¬ ſterniß mehr als denen des Lichts zugethanes Gemüth gänzlich verwirren und vom rechten Pfade wegzulocken. Ohne dieſen Zufall wäre die Baronin vielleicht nie auf den Gedanken gekommen, ſich auf dieſem krum¬ men Wege in das Herz ihrer Tochter zu ſtehlen. Aber das Projekt der Heirath Helenen's mit Felix war bei ihr, wie es bei ſelbſtiſchen und eigenwilligen Naturen zu geſchehen pflegt, zur fixen Idee geworden. Der Geſundheitszuſtand ihres Gemals erſchien ihr —
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werde ſich nie um ihre Correſpondenz kümmern, eine
Wahrheit ſei, geſchrieben, und in dem vollen Ver¬
trauen auf die Heiligkeit des Briefgeheimniſſes ihrem
Kammermädchen übergeben hatte mit dem Auftrage,
ihn in die Küche zu tragen, wo der Poſtbote ſich an
einer Taſſe Kaffe erquickte. Das Mädchen war der
Baronin auf dem Flur begegnet, und von dieſer ge¬
fragt worden, von wem der Brief ſei? Auf die Ant¬
wort: von dem gnädigen Fräulein; hatte die Baronin
ſich den Brief geben laſſen, mit der Weiſung, den
Poſtboten hernach zu ihr auf's Zimmer zu ſenden,
da ſie ſelbſt noch mehre Aufträge für ihn habe.
So war Helenen's Brief in die Hände der Mut¬
ter gekommen. Es war ein Zufall, einer jener Zufälle,
den böſe Dämonen eigens in der Abſicht herbeizu¬
führen ſcheinen, ein ſo ſchon den Mächten der Fin¬
ſterniß mehr als denen des Lichts zugethanes Gemüth
gänzlich verwirren und vom rechten Pfade wegzulocken.
Ohne dieſen Zufall wäre die Baronin vielleicht nie
auf den Gedanken gekommen, ſich auf dieſem krum¬
men Wege in das Herz ihrer Tochter zu ſtehlen.
Aber das Projekt der Heirath Helenen's mit Felix
war bei ihr, wie es bei ſelbſtiſchen und eigenwilligen
Naturen zu geſchehen pflegt, zur fixen Idee geworden.
Der Geſundheitszuſtand ihres Gemals erſchien ihr —
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/142>, abgerufen am 22.12.2024.
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