Gemeinen und Plebejischen habe. Wir Beide sind in der Ueberzeugung aufgewachsen, daß die unteren Stände mit dem Adel der Geburt auch des Adels der Gesinnung entbehren, daß wir bei ihnen auf ein Verständniß dessen, was uns hoch und theuer ist, in keinem Falle rechnen können. Ich gestehe, daß ich seit meiner Ankunft in Grenwitz von diesem Vorurtheil -- denn so muß ich es jetzt bezeichnen -- in manchen Punkten zurückgekommen bin, daß ich wenigstens jetzt eingesehen habe, wie zu der Regel sich doch auch Aus¬ nahmen finden. Stein ist eine solche Ausnahme. Ich habe noch kein Wort aus seinem Munde gehört, das den Plebejer verrathen hätte, dagegen viele, sehr viele, die mir wie aus der Seele gesprochen waren, die ein lautes Echo in meinem Herzen fanden. Er spricht mit einer Anmuth, wie ich es noch von keinem Men¬ schen gehört habe, mit einer reichen Modulation der Stimme, die wie Musik in meinem Ohre klingt, so daß ich oft noch stundenlang nachher versuche, die Art und Weise, den Tonfall, mit dem er dies oder jenes sprach, in meiner Erinnerung zurückzurufen. Es liegt für mich ein unendlicher Zauber in einer schönen klangreichen Stimme; es ist mir immer, als sprächen die Menschen mit dem Herzen; als könnte ich, oft schon nach wenigen Worten, sagen: dies ist
Gemeinen und Plebejiſchen habe. Wir Beide ſind in der Ueberzeugung aufgewachſen, daß die unteren Stände mit dem Adel der Geburt auch des Adels der Geſinnung entbehren, daß wir bei ihnen auf ein Verſtändniß deſſen, was uns hoch und theuer iſt, in keinem Falle rechnen können. Ich geſtehe, daß ich ſeit meiner Ankunft in Grenwitz von dieſem Vorurtheil — denn ſo muß ich es jetzt bezeichnen — in manchen Punkten zurückgekommen bin, daß ich wenigſtens jetzt eingeſehen habe, wie zu der Regel ſich doch auch Aus¬ nahmen finden. Stein iſt eine ſolche Ausnahme. Ich habe noch kein Wort aus ſeinem Munde gehört, das den Plebejer verrathen hätte, dagegen viele, ſehr viele, die mir wie aus der Seele geſprochen waren, die ein lautes Echo in meinem Herzen fanden. Er ſpricht mit einer Anmuth, wie ich es noch von keinem Men¬ ſchen gehört habe, mit einer reichen Modulation der Stimme, die wie Muſik in meinem Ohre klingt, ſo daß ich oft noch ſtundenlang nachher verſuche, die Art und Weiſe, den Tonfall, mit dem er dies oder jenes ſprach, in meiner Erinnerung zurückzurufen. Es liegt für mich ein unendlicher Zauber in einer ſchönen klangreichen Stimme; es iſt mir immer, als ſprächen die Menſchen mit dem Herzen; als könnte ich, oft ſchon nach wenigen Worten, ſagen: dies iſt
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Gemeinen und Plebejiſchen habe. Wir Beide ſind
in der Ueberzeugung aufgewachſen, daß die unteren
Stände mit dem Adel der Geburt auch des Adels
der Geſinnung entbehren, daß wir bei ihnen auf ein
Verſtändniß deſſen, was uns hoch und theuer iſt, in
keinem Falle rechnen können. Ich geſtehe, daß ich
ſeit meiner Ankunft in Grenwitz von dieſem Vorurtheil
— denn ſo muß ich es jetzt bezeichnen — in manchen
Punkten zurückgekommen bin, daß ich wenigſtens jetzt
eingeſehen habe, wie zu der Regel ſich doch auch Aus¬
nahmen finden. Stein iſt eine ſolche Ausnahme. Ich
habe noch kein Wort aus ſeinem Munde gehört, das
den Plebejer verrathen hätte, dagegen viele, ſehr viele,
die mir wie aus der Seele geſprochen waren, die ein
lautes Echo in meinem Herzen fanden. Er ſpricht
mit einer Anmuth, wie ich es noch von keinem Men¬
ſchen gehört habe, mit einer reichen Modulation der
Stimme, die wie Muſik in meinem Ohre klingt, ſo
daß ich oft noch ſtundenlang nachher verſuche, die
Art und Weiſe, den Tonfall, mit dem er dies oder
jenes ſprach, in meiner Erinnerung zurückzurufen.
Es liegt für mich ein unendlicher Zauber in einer
ſchönen klangreichen Stimme; es iſt mir immer, als
ſprächen die Menſchen mit dem Herzen; als könnte
ich, oft ſchon nach wenigen Worten, ſagen: dies iſt
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/137>, abgerufen am 22.12.2024.
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