Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

ein guter, dies ist kein guter Mensch. Und bei Stein
wenigstens trifft es zu. Ich habe schon manche Pro¬
ben von seiner Herzensgüte gesehen. So starb vor
ein paar Tagen in unserem Dorfe eine steinalte Frau,
die früher Wirthschafterin auf dem Schlosse gewesen
war und von dem Vater eine kleine Pension hatte.
Niemand kümmerte sich um sie, nur Stein, der auch
nach ihrem Tode für ihr Begräbniß Sorge trug, ja
sie zu ihrer letzten Ruhestätte, mit Bruno, den weiten
Weg bis zum Friedhofe begleitet hat. Das ist ihm
im Schlosse sehr übel ausgelegt worden und ich mußte
sehr lieblose Bemerkungen darüber mit anhören; be¬
sonders von einer gewissen Person, die Gott danken
sollte, wenn er sie nur einmal auf den Gedanken einer
so guten That kommen, geschweige denn eine solche
wirklich ausführen ließe. Aber ich will dieser Person
nicht die Ehre anthun, noch mehr Worte über sie zu
verlieren. Ich habe beschlossen, daß sie in Wirklich¬
keit für mich nicht existiren soll, und so soll sie es auch
nicht in Worten . . . . . . . . . . . . .

Dieser Brief, in welchem sich Fräulein Helene so
unumwunden über die Personen ihrer Umgebung aus¬
sprach, wurde nie beantwortet, denn er gelangte nie
an seine Adresse.


ein guter, dies iſt kein guter Menſch. Und bei Stein
wenigſtens trifft es zu. Ich habe ſchon manche Pro¬
ben von ſeiner Herzensgüte geſehen. So ſtarb vor
ein paar Tagen in unſerem Dorfe eine ſteinalte Frau,
die früher Wirthſchafterin auf dem Schloſſe geweſen
war und von dem Vater eine kleine Penſion hatte.
Niemand kümmerte ſich um ſie, nur Stein, der auch
nach ihrem Tode für ihr Begräbniß Sorge trug, ja
ſie zu ihrer letzten Ruheſtätte, mit Bruno, den weiten
Weg bis zum Friedhofe begleitet hat. Das iſt ihm
im Schloſſe ſehr übel ausgelegt worden und ich mußte
ſehr liebloſe Bemerkungen darüber mit anhören; be¬
ſonders von einer gewiſſen Perſon, die Gott danken
ſollte, wenn er ſie nur einmal auf den Gedanken einer
ſo guten That kommen, geſchweige denn eine ſolche
wirklich ausführen ließe. Aber ich will dieſer Perſon
nicht die Ehre anthun, noch mehr Worte über ſie zu
verlieren. Ich habe beſchloſſen, daß ſie in Wirklich¬
keit für mich nicht exiſtiren ſoll, und ſo ſoll ſie es auch
nicht in Worten . . . . . . . . . . . . .

Dieſer Brief, in welchem ſich Fräulein Helene ſo
unumwunden über die Perſonen ihrer Umgebung aus¬
ſprach, wurde nie beantwortet, denn er gelangte nie
an ſeine Adreſſe.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0138" n="128"/>
ein guter, dies i&#x017F;t kein guter Men&#x017F;ch. Und bei Stein<lb/>
wenig&#x017F;tens trifft es zu. Ich habe &#x017F;chon manche Pro¬<lb/>
ben von &#x017F;einer Herzensgüte ge&#x017F;ehen. So &#x017F;tarb vor<lb/>
ein paar Tagen in un&#x017F;erem Dorfe eine &#x017F;teinalte Frau,<lb/>
die früher Wirth&#x017F;chafterin auf dem Schlo&#x017F;&#x017F;e gewe&#x017F;en<lb/>
war und von dem Vater eine kleine Pen&#x017F;ion hatte.<lb/>
Niemand kümmerte &#x017F;ich um &#x017F;ie, nur Stein, der auch<lb/>
nach ihrem Tode für ihr Begräbniß Sorge trug, ja<lb/>
&#x017F;ie zu ihrer letzten Ruhe&#x017F;tätte, mit Bruno, den weiten<lb/>
Weg bis zum Friedhofe begleitet hat. Das i&#x017F;t ihm<lb/>
im Schlo&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ehr übel ausgelegt worden und ich mußte<lb/>
&#x017F;ehr lieblo&#x017F;e Bemerkungen darüber mit anhören; be¬<lb/>
&#x017F;onders von einer gewi&#x017F;&#x017F;en Per&#x017F;on, die Gott danken<lb/>
&#x017F;ollte, wenn er &#x017F;ie nur einmal auf den Gedanken einer<lb/>
&#x017F;o guten That kommen, ge&#x017F;chweige denn eine &#x017F;olche<lb/>
wirklich ausführen ließe. Aber ich will die&#x017F;er Per&#x017F;on<lb/>
nicht die Ehre anthun, noch mehr Worte über &#x017F;ie zu<lb/>
verlieren. Ich habe be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie in Wirklich¬<lb/>
keit für mich nicht exi&#x017F;tiren &#x017F;oll, und &#x017F;o &#x017F;oll &#x017F;ie es auch<lb/>
nicht in Worten . . . . . . . . . . . . .</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er Brief, in welchem &#x017F;ich Fräulein Helene &#x017F;o<lb/>
unumwunden über die Per&#x017F;onen ihrer Umgebung aus¬<lb/>
&#x017F;prach, wurde nie beantwortet, denn er gelangte nie<lb/>
an &#x017F;eine Adre&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0138] ein guter, dies iſt kein guter Menſch. Und bei Stein wenigſtens trifft es zu. Ich habe ſchon manche Pro¬ ben von ſeiner Herzensgüte geſehen. So ſtarb vor ein paar Tagen in unſerem Dorfe eine ſteinalte Frau, die früher Wirthſchafterin auf dem Schloſſe geweſen war und von dem Vater eine kleine Penſion hatte. Niemand kümmerte ſich um ſie, nur Stein, der auch nach ihrem Tode für ihr Begräbniß Sorge trug, ja ſie zu ihrer letzten Ruheſtätte, mit Bruno, den weiten Weg bis zum Friedhofe begleitet hat. Das iſt ihm im Schloſſe ſehr übel ausgelegt worden und ich mußte ſehr liebloſe Bemerkungen darüber mit anhören; be¬ ſonders von einer gewiſſen Perſon, die Gott danken ſollte, wenn er ſie nur einmal auf den Gedanken einer ſo guten That kommen, geſchweige denn eine ſolche wirklich ausführen ließe. Aber ich will dieſer Perſon nicht die Ehre anthun, noch mehr Worte über ſie zu verlieren. Ich habe beſchloſſen, daß ſie in Wirklich¬ keit für mich nicht exiſtiren ſoll, und ſo ſoll ſie es auch nicht in Worten . . . . . . . . . . . . . Dieſer Brief, in welchem ſich Fräulein Helene ſo unumwunden über die Perſonen ihrer Umgebung aus¬ ſprach, wurde nie beantwortet, denn er gelangte nie an ſeine Adreſſe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/138
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/138>, abgerufen am 22.12.2024.