Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn aus seinem wirren Traum. Es war Oldenburg.
Der Baron war allein. Das Feuer des Holzstoßes
flammte nur noch auf Augenblicke empor und drohte
zu verlöschen. Der Mond, über den graue Wolken¬
schleier zogen, flimmerte geisterhaft in dem dunklen
Wasser des Sumpfes. Unheimlich zischelte und flüsterte
der Wind in den langen Binsen des Ufers.

"Wo ist Czika?" fragte Oswald.

"Fort," erwiederte der Baron; "lassen Sie uns
aufbrechen. Es ist spät."

"Wird sie nicht wiederkommen?"

"Ich weiß es nicht."

"Und Sie haben zugegeben, daß dies Kind, Ihr
Kind, der Zigeunerin folgt in die weite Welt!"

"Was sollte ich thun? Ist es nicht ihr Kind
tausendmal mehr als meines? hat sie es nicht mit
Schmerzen geboren, es genährt und gepflegt und be¬
schirmt viele, viele Jahre, durch Regen und Sonnen¬
schein, in Noth und Armuth, im wilden Wald, auf
der offenen Landstraße? Hat sie nicht für dies Kind
gebettelt und gestohlen und vielleicht gethan, was noch
schlimmer ist? Was habe ich für mein Kind gethan?
nichts -- nichts, als seine Mutter vor den Augen
eines vornehmen Pöbels zur Diebin gemacht, sie wie
einen verlaufenen Hund von mir verjagt, einer elenden

ihn aus ſeinem wirren Traum. Es war Oldenburg.
Der Baron war allein. Das Feuer des Holzſtoßes
flammte nur noch auf Augenblicke empor und drohte
zu verlöſchen. Der Mond, über den graue Wolken¬
ſchleier zogen, flimmerte geiſterhaft in dem dunklen
Waſſer des Sumpfes. Unheimlich ziſchelte und flüſterte
der Wind in den langen Binſen des Ufers.

„Wo iſt Czika?“ fragte Oswald.

„Fort,“ erwiederte der Baron; „laſſen Sie uns
aufbrechen. Es iſt ſpät.“

„Wird ſie nicht wiederkommen?“

„Ich weiß es nicht.“

„Und Sie haben zugegeben, daß dies Kind, Ihr
Kind, der Zigeunerin folgt in die weite Welt!“

„Was ſollte ich thun? Iſt es nicht ihr Kind
tauſendmal mehr als meines? hat ſie es nicht mit
Schmerzen geboren, es genährt und gepflegt und be¬
ſchirmt viele, viele Jahre, durch Regen und Sonnen¬
ſchein, in Noth und Armuth, im wilden Wald, auf
der offenen Landſtraße? Hat ſie nicht für dies Kind
gebettelt und geſtohlen und vielleicht gethan, was noch
ſchlimmer iſt? Was habe ich für mein Kind gethan?
nichts — nichts, als ſeine Mutter vor den Augen
eines vornehmen Pöbels zur Diebin gemacht, ſie wie
einen verlaufenen Hund von mir verjagt, einer elenden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0112" n="102"/>
ihn aus &#x017F;einem wirren Traum. Es war Oldenburg.<lb/>
Der Baron war allein. Das Feuer des Holz&#x017F;toßes<lb/>
flammte nur noch auf Augenblicke empor und drohte<lb/>
zu verlö&#x017F;chen. Der Mond, über den graue Wolken¬<lb/>
&#x017F;chleier zogen, flimmerte gei&#x017F;terhaft in dem dunklen<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er des Sumpfes. Unheimlich zi&#x017F;chelte und flü&#x017F;terte<lb/>
der Wind in den langen Bin&#x017F;en des Ufers.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo i&#x017F;t Czika?&#x201C; fragte Oswald.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Fort,&#x201C; erwiederte der Baron; &#x201E;la&#x017F;&#x017F;en Sie uns<lb/>
aufbrechen. Es i&#x017F;t &#x017F;pät.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wird &#x017F;ie nicht wiederkommen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich weiß es nicht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und Sie haben zugegeben, daß dies Kind, Ihr<lb/>
Kind, der Zigeunerin folgt in die weite Welt!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was &#x017F;ollte ich thun? I&#x017F;t es nicht ihr Kind<lb/>
tau&#x017F;endmal mehr als meines? hat &#x017F;ie es nicht mit<lb/>
Schmerzen geboren, es genährt und gepflegt und be¬<lb/>
&#x017F;chirmt viele, viele Jahre, durch Regen und Sonnen¬<lb/>
&#x017F;chein, in Noth und Armuth, im wilden Wald, auf<lb/>
der offenen Land&#x017F;traße? Hat &#x017F;ie nicht für dies Kind<lb/>
gebettelt und ge&#x017F;tohlen und vielleicht gethan, was noch<lb/>
&#x017F;chlimmer i&#x017F;t? Was habe ich für mein Kind gethan?<lb/>
nichts &#x2014; nichts, als &#x017F;eine Mutter vor den Augen<lb/>
eines vornehmen Pöbels zur Diebin gemacht, &#x017F;ie wie<lb/>
einen verlaufenen Hund von mir verjagt, einer elenden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0112] ihn aus ſeinem wirren Traum. Es war Oldenburg. Der Baron war allein. Das Feuer des Holzſtoßes flammte nur noch auf Augenblicke empor und drohte zu verlöſchen. Der Mond, über den graue Wolken¬ ſchleier zogen, flimmerte geiſterhaft in dem dunklen Waſſer des Sumpfes. Unheimlich ziſchelte und flüſterte der Wind in den langen Binſen des Ufers. „Wo iſt Czika?“ fragte Oswald. „Fort,“ erwiederte der Baron; „laſſen Sie uns aufbrechen. Es iſt ſpät.“ „Wird ſie nicht wiederkommen?“ „Ich weiß es nicht.“ „Und Sie haben zugegeben, daß dies Kind, Ihr Kind, der Zigeunerin folgt in die weite Welt!“ „Was ſollte ich thun? Iſt es nicht ihr Kind tauſendmal mehr als meines? hat ſie es nicht mit Schmerzen geboren, es genährt und gepflegt und be¬ ſchirmt viele, viele Jahre, durch Regen und Sonnen¬ ſchein, in Noth und Armuth, im wilden Wald, auf der offenen Landſtraße? Hat ſie nicht für dies Kind gebettelt und geſtohlen und vielleicht gethan, was noch ſchlimmer iſt? Was habe ich für mein Kind gethan? nichts — nichts, als ſeine Mutter vor den Augen eines vornehmen Pöbels zur Diebin gemacht, ſie wie einen verlaufenen Hund von mir verjagt, einer elenden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/112
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/112>, abgerufen am 03.05.2024.