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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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drückte sie, als wollte er sagen: ich weiß jetzt Alles,
rechnet auf mich.

"Nein," sagte er; "Julius ist wohl und munter,
aber ich bekam heute einen Brief von Dr. Birkenhain,
dem zufolge es mit dem Befinden Herrn von Berkow's
so schlecht steht, daß man täglich sein Ende erwartet.
Seltsamer Weise ist er bei vollkommener Besinnung
und verlangt dringend nach Ihnen. Dr. Birkenhain
hielt es für seine Pflicht, Ihnen diesen Wunsch eines
Sterbenden mitzutheilen. Jedenfalls wird dies der
Inhalt des eingelegten Briefes an Sie sein. Ich
habe ihn selbst gebracht, damit Sie sofort über meine
Dienste verfügen könnten, im Falle Sie sich zu einer
Reise entschließen sollten. Der Wagen, in welchem
ich gekommen bin, wird jetzt wol schon vor dem Hause
halten; ich hatte den kürzeren Weg durch den Garten
vorgezogen."

Die Drei waren in den Gartensaal getreten. Me¬
litta hatte Oswald's Arm losgelassen und sich der
Lampe genähert, den Brief zu lesen, welchen Bem¬
perlein ihr überbracht hatte. Oswald sah, daß sie
sehr blaß geworden war, und daß ihre Hand, die den
Brief hielt, zitterte. Bemperlein stand, den Blick von
Melitta auf Oswald, von Oswald auf Melitta
wendend, da, wie Jemand, der, aus einem schweren

drückte ſie, als wollte er ſagen: ich weiß jetzt Alles,
rechnet auf mich.

„Nein,“ ſagte er; „Julius iſt wohl und munter,
aber ich bekam heute einen Brief von Dr. Birkenhain,
dem zufolge es mit dem Befinden Herrn von Berkow's
ſo ſchlecht ſteht, daß man täglich ſein Ende erwartet.
Seltſamer Weiſe iſt er bei vollkommener Beſinnung
und verlangt dringend nach Ihnen. Dr. Birkenhain
hielt es für ſeine Pflicht, Ihnen dieſen Wunſch eines
Sterbenden mitzutheilen. Jedenfalls wird dies der
Inhalt des eingelegten Briefes an Sie ſein. Ich
habe ihn ſelbſt gebracht, damit Sie ſofort über meine
Dienſte verfügen könnten, im Falle Sie ſich zu einer
Reiſe entſchließen ſollten. Der Wagen, in welchem
ich gekommen bin, wird jetzt wol ſchon vor dem Hauſe
halten; ich hatte den kürzeren Weg durch den Garten
vorgezogen.“

Die Drei waren in den Gartenſaal getreten. Me¬
litta hatte Oswald's Arm losgelaſſen und ſich der
Lampe genähert, den Brief zu leſen, welchen Bem¬
perlein ihr überbracht hatte. Oswald ſah, daß ſie
ſehr blaß geworden war, und daß ihre Hand, die den
Brief hielt, zitterte. Bemperlein ſtand, den Blick von
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[76/0086] drückte ſie, als wollte er ſagen: ich weiß jetzt Alles, rechnet auf mich. „Nein,“ ſagte er; „Julius iſt wohl und munter, aber ich bekam heute einen Brief von Dr. Birkenhain, dem zufolge es mit dem Befinden Herrn von Berkow's ſo ſchlecht ſteht, daß man täglich ſein Ende erwartet. Seltſamer Weiſe iſt er bei vollkommener Beſinnung und verlangt dringend nach Ihnen. Dr. Birkenhain hielt es für ſeine Pflicht, Ihnen dieſen Wunſch eines Sterbenden mitzutheilen. Jedenfalls wird dies der Inhalt des eingelegten Briefes an Sie ſein. Ich habe ihn ſelbſt gebracht, damit Sie ſofort über meine Dienſte verfügen könnten, im Falle Sie ſich zu einer Reiſe entſchließen ſollten. Der Wagen, in welchem ich gekommen bin, wird jetzt wol ſchon vor dem Hauſe halten; ich hatte den kürzeren Weg durch den Garten vorgezogen.“ Die Drei waren in den Gartenſaal getreten. Me¬ litta hatte Oswald's Arm losgelaſſen und ſich der Lampe genähert, den Brief zu leſen, welchen Bem¬ perlein ihr überbracht hatte. Oswald ſah, daß ſie ſehr blaß geworden war, und daß ihre Hand, die den Brief hielt, zitterte. Bemperlein ſtand, den Blick von Melitta auf Oswald, von Oswald auf Melitta wendend, da, wie Jemand, der, aus einem ſchweren

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/86>, abgerufen am 06.05.2024.