Liebe die Augen aufschlug und nun das Leben so durchsichtig klar vor mir liegt, daß mir die dichte Nacht, die uns umgiebt, heller däucht, wie sonst der lichteste Tag, und die dunkelsten Räthsel meines Her¬ zens gelöst sind. Jetzt kann ich von der Melitta der früheren Zeit sprechen, wie von einem fremden We¬ sen, für dessen Thun und Lassen ich mich nicht ver¬ antwortlich fühle; jetzt kann und will ich Dir erzäh¬ len, was es für eine Bewandniß mit dem Bilde in meinem Album hat, dem losgelösten Blatt, dessen Vor¬ handensein Dich damals so erschreckte, liebes Herz. Ja, ja, ich hab es wol bemerkt -- Du entfärbtest Dich und konntest nicht fassen, wie ich Dich um Dein Urtheil über den Mann befragen konnte, den Du für meinen Geliebten halten mußtest. Und doch war das Oldenburg nie, oder es müßte in der Liebe tau¬ send Grade geben, von denen der niedrigste von dem höchsten so weit entfernt ist, wie die Erde von dem Himmel.
"Ich kannte Oldenburg schon von meiner frühesten Kindheit an. Salchow, das Gut meines Vaters, grenzt an Cona, wo Du gestern warst. Meine Tante, die nach dem frühen Tode meiner Mutter meine Er¬ ziehung leitete, und Oldenburg's Mutter waren sehr gute Freundinnen und kamen fast täglich zusammen.
F. Spielhagen, Problematische Naturen. III. 5
Liebe die Augen aufſchlug und nun das Leben ſo durchſichtig klar vor mir liegt, daß mir die dichte Nacht, die uns umgiebt, heller däucht, wie ſonſt der lichteſte Tag, und die dunkelſten Räthſel meines Her¬ zens gelöſt ſind. Jetzt kann ich von der Melitta der früheren Zeit ſprechen, wie von einem fremden We¬ ſen, für deſſen Thun und Laſſen ich mich nicht ver¬ antwortlich fühle; jetzt kann und will ich Dir erzäh¬ len, was es für eine Bewandniß mit dem Bilde in meinem Album hat, dem losgelöſten Blatt, deſſen Vor¬ handenſein Dich damals ſo erſchreckte, liebes Herz. Ja, ja, ich hab es wol bemerkt — Du entfärbteſt Dich und konnteſt nicht faſſen, wie ich Dich um Dein Urtheil über den Mann befragen konnte, den Du für meinen Geliebten halten mußteſt. Und doch war das Oldenburg nie, oder es müßte in der Liebe tau¬ ſend Grade geben, von denen der niedrigſte von dem höchſten ſo weit entfernt iſt, wie die Erde von dem Himmel.
„Ich kannte Oldenburg ſchon von meiner früheſten Kindheit an. Salchow, das Gut meines Vaters, grenzt an Cona, wo Du geſtern warſt. Meine Tante, die nach dem frühen Tode meiner Mutter meine Er¬ ziehung leitete, und Oldenburg's Mutter waren ſehr gute Freundinnen und kamen faſt täglich zuſammen.
F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. III. 5
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Liebe die Augen aufſchlug und nun das Leben ſo
durchſichtig klar vor mir liegt, daß mir die dichte
Nacht, die uns umgiebt, heller däucht, wie ſonſt der
lichteſte Tag, und die dunkelſten Räthſel meines Her¬
zens gelöſt ſind. Jetzt kann ich von der Melitta der
früheren Zeit ſprechen, wie von einem fremden We¬
ſen, für deſſen Thun und Laſſen ich mich nicht ver¬
antwortlich fühle; jetzt kann und will ich Dir erzäh¬
len, was es für eine Bewandniß mit dem Bilde in
meinem Album hat, dem losgelöſten Blatt, deſſen Vor¬
handenſein Dich damals ſo erſchreckte, liebes Herz.
Ja, ja, ich hab es wol bemerkt — Du entfärbteſt
Dich und konnteſt nicht faſſen, wie ich Dich um Dein
Urtheil über den Mann befragen konnte, den Du für
meinen Geliebten halten mußteſt. Und doch war
das Oldenburg nie, oder es müßte in der Liebe tau¬
ſend Grade geben, von denen der niedrigſte von dem
höchſten ſo weit entfernt iſt, wie die Erde von dem
Himmel.
„Ich kannte Oldenburg ſchon von meiner früheſten
Kindheit an. Salchow, das Gut meines Vaters, grenzt
an Cona, wo Du geſtern warſt. Meine Tante, die
nach dem frühen Tode meiner Mutter meine Er¬
ziehung leitete, und Oldenburg's Mutter waren ſehr
gute Freundinnen und kamen faſt täglich zuſammen.
F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. III. 5
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/75>, abgerufen am 16.07.2024.
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