Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.bis ich Dich sah; denn, was ich früher Liebe nannte, "Und Du glaubst, ich sei dies verkörperte Ideal? "Nein, Oswald, es ist zu spät. Es giebt eine "Und nun kann ich auch ruhig über die Zeit bis ich Dich ſah; denn, was ich früher Liebe nannte, „Und Du glaubſt, ich ſei dies verkörperte Ideal? „Nein, Oswald, es iſt zu ſpät. Es giebt eine „Und nun kann ich auch ruhig über die Zeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0074" n="64"/> bis ich Dich ſah; denn, was ich früher Liebe nannte,<lb/> war nur die unbefriedigte Sehnſucht nach einem Ideal,<lb/> das ich im tiefſten Herzen trug, das ſich mir niemals<lb/> zeigen wollte, und das, jemals zu finden, ich ſchon ſeit<lb/> Jahren die Hoffnung aufgegeben hatte.“</p><lb/> <p>„Und Du glaubſt, ich ſei dies verkörperte Ideal?<lb/> Arme Melitta! wie bald wirſt Du aus dieſem Traum<lb/> erwachen! Erwache, Melitta! erwache — noch iſt es<lb/> Zeit!“</p><lb/> <p>„Nein, Oswald, es iſt zu ſpät. Es giebt eine<lb/> Liebe, die ſtark iſt wie der Tod, und aus ihr giebt<lb/> es kein Erwachen. Nein! kein Erwachen! Ich fühle<lb/> es, ich weiß es. Und wenn Du Dein Antlitz von<lb/> mir wendeteſt, und wenn Du mich von Dir ſtießeſt<lb/> — Dir gegenüber habe ich keinen gekränkten Stolz,<lb/> keine verletzte Eitelkeit — nur Liebe, unergründliche,<lb/> unermeßliche, unerſchöpfliche Liebe. Bis jetzt wußte<lb/> ich nur, daß ich lieben könne; wie ſehr ich lieben<lb/> könne, haſt Du mich erſt gelehrt. . . .</p><lb/> <p>„Und nun kann ich auch ruhig über die Zeit<lb/> ſprechen, in der ich Dich noch nicht kannte — denn<lb/> jenes Leben war nur ein Scheinleben — und Alles,<lb/> was ich fühlte und dachte, war nur ein unbeſtimmtes<lb/> Träumen ohne Zuſammenhang und Sinn. Jetzt weiß<lb/> ich es, jetzt, wo ich in dem Sonnenſtrahl Deiner<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [64/0074]
bis ich Dich ſah; denn, was ich früher Liebe nannte,
war nur die unbefriedigte Sehnſucht nach einem Ideal,
das ich im tiefſten Herzen trug, das ſich mir niemals
zeigen wollte, und das, jemals zu finden, ich ſchon ſeit
Jahren die Hoffnung aufgegeben hatte.“
„Und Du glaubſt, ich ſei dies verkörperte Ideal?
Arme Melitta! wie bald wirſt Du aus dieſem Traum
erwachen! Erwache, Melitta! erwache — noch iſt es
Zeit!“
„Nein, Oswald, es iſt zu ſpät. Es giebt eine
Liebe, die ſtark iſt wie der Tod, und aus ihr giebt
es kein Erwachen. Nein! kein Erwachen! Ich fühle
es, ich weiß es. Und wenn Du Dein Antlitz von
mir wendeteſt, und wenn Du mich von Dir ſtießeſt
— Dir gegenüber habe ich keinen gekränkten Stolz,
keine verletzte Eitelkeit — nur Liebe, unergründliche,
unermeßliche, unerſchöpfliche Liebe. Bis jetzt wußte
ich nur, daß ich lieben könne; wie ſehr ich lieben
könne, haſt Du mich erſt gelehrt. . . .
„Und nun kann ich auch ruhig über die Zeit
ſprechen, in der ich Dich noch nicht kannte — denn
jenes Leben war nur ein Scheinleben — und Alles,
was ich fühlte und dachte, war nur ein unbeſtimmtes
Träumen ohne Zuſammenhang und Sinn. Jetzt weiß
ich es, jetzt, wo ich in dem Sonnenſtrahl Deiner
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