Natürlich auch wir Kinder. Oldenburg war ein paar Jahre älter als ich, aber da die Mädchen den Knaben stets in der Entwickelung voraus sind, so wurde der Unterschied des Alters von uns nicht empfunden, wir spielten und arbeiteten zusammen, und hielten gute Kameradschaft -- für gewöhnlich; denn es kam auch manchmal zu heftigem Wortwechsel und Zank und Thränen. Ich gab selten Veranlassung dazu, denn ich war wenig rechthaberisch und stets zu Concessionen bereit, aber Adalbert war über die Maßen empfind¬ lich, störrisch und eigenwillig. Die Doppelnatur seines Wesens, die er später auszugleichen sich be¬ mühte und vor weniger Scharfsichtigen auch meistens zu verbergen wußte, lag damals offen zu Tage. Es war unmöglich, sich nicht für ihn zu interessiren, aber ich glaube, es gab Niemanden, der ihn wirklich liebte. Er fühlte das, und dies Gefühl, welches er wie eine geheime Wunde stets mit sich herumtrug, machte ihn schon sehr früh zu einem Hypochonder und Menschen feind. Was half es ihm, daß Jedermann seine emi¬ nenten Gaben bewunderte, daß Niemand an seinem Muth, seiner Wahrheitsliebe zweifelte! sein störrisches, eigensinniges Wesen stieß Alle zurück, verletzte Alle; ja selbst seine lange, unschöne Gestalt und seine täp¬ pischen, linkischen Bewegungen trugen dazu bei, die
Natürlich auch wir Kinder. Oldenburg war ein paar Jahre älter als ich, aber da die Mädchen den Knaben ſtets in der Entwickelung voraus ſind, ſo wurde der Unterſchied des Alters von uns nicht empfunden, wir ſpielten und arbeiteten zuſammen, und hielten gute Kameradſchaft — für gewöhnlich; denn es kam auch manchmal zu heftigem Wortwechſel und Zank und Thränen. Ich gab ſelten Veranlaſſung dazu, denn ich war wenig rechthaberiſch und ſtets zu Conceſſionen bereit, aber Adalbert war über die Maßen empfind¬ lich, ſtörriſch und eigenwillig. Die Doppelnatur ſeines Weſens, die er ſpäter auszugleichen ſich be¬ mühte und vor weniger Scharfſichtigen auch meiſtens zu verbergen wußte, lag damals offen zu Tage. Es war unmöglich, ſich nicht für ihn zu intereſſiren, aber ich glaube, es gab Niemanden, der ihn wirklich liebte. Er fühlte das, und dies Gefühl, welches er wie eine geheime Wunde ſtets mit ſich herumtrug, machte ihn ſchon ſehr früh zu einem Hypochonder und Menſchen feind. Was half es ihm, daß Jedermann ſeine emi¬ nenten Gaben bewunderte, daß Niemand an ſeinem Muth, ſeiner Wahrheitsliebe zweifelte! ſein ſtörriſches, eigenſinniges Weſen ſtieß Alle zurück, verletzte Alle; ja ſelbſt ſeine lange, unſchöne Geſtalt und ſeine täp¬ piſchen, linkiſchen Bewegungen trugen dazu bei, die
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Natürlich auch wir Kinder. Oldenburg war ein paar
Jahre älter als ich, aber da die Mädchen den Knaben
ſtets in der Entwickelung voraus ſind, ſo wurde der
Unterſchied des Alters von uns nicht empfunden, wir
ſpielten und arbeiteten zuſammen, und hielten gute
Kameradſchaft — für gewöhnlich; denn es kam auch
manchmal zu heftigem Wortwechſel und Zank und
Thränen. Ich gab ſelten Veranlaſſung dazu, denn
ich war wenig rechthaberiſch und ſtets zu Conceſſionen
bereit, aber Adalbert war über die Maßen empfind¬
lich, ſtörriſch und eigenwillig. Die Doppelnatur
ſeines Weſens, die er ſpäter auszugleichen ſich be¬
mühte und vor weniger Scharfſichtigen auch meiſtens
zu verbergen wußte, lag damals offen zu Tage. Es
war unmöglich, ſich nicht für ihn zu intereſſiren, aber
ich glaube, es gab Niemanden, der ihn wirklich liebte.
Er fühlte das, und dies Gefühl, welches er wie eine
geheime Wunde ſtets mit ſich herumtrug, machte ihn
ſchon ſehr früh zu einem Hypochonder und Menſchen
feind. Was half es ihm, daß Jedermann ſeine emi¬
nenten Gaben bewunderte, daß Niemand an ſeinem
Muth, ſeiner Wahrheitsliebe zweifelte! ſein ſtörriſches,
eigenſinniges Weſen ſtieß Alle zurück, verletzte Alle;
ja ſelbſt ſeine lange, unſchöne Geſtalt und ſeine täp¬
piſchen, linkiſchen Bewegungen trugen dazu bei, die
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/76>, abgerufen am 16.07.2024.
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