Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

erholt, daß wir uns seiner Liebe und Fürsorge gewiß
noch recht lange werden erfreuen können."

"Das gebe Gott!" sagte die Baronin; "aber ich
fürchte, wir müssen uns auf das Schlimmste gefaßt
machen. Der Vater ist keineswegs so rüstig, wie Du
glaubst. Er kränkelt fortwährend, obgleich er es uns
so wenig wie möglich merken läßt. Der Hamburger
Arzt schilderte mir des Vaters Zustand als sehr be¬
denklich. Sollte er uns entrissen werden, dann wür¬
dest Du leider Gelegenheit erhalten, die Stichhaltigkeit
Deiner Grundsätze zu erproben. Aber, mein Kind,
Du kennst das Leben nicht. Es läßt sich leicht von
Armuth sprechen, wenn man sie nur von Hörensagen
kennt. Ich kenne sie aus Erfahrung; ich war ein
armes Mädchen, als mich Dein Vater heirathete; ich
weiß, was es heißt, ein Kleid wenden und wieder
wenden, weil man kein Geld hat, ein neues zu kaufen;
ich weiß, welchen tausendfachen Demüthigungen ein
armes Mädchen von Adel ausgesetzt ist."

"Es wird anders und besser kommen, als Du
denkst, theuerste Mama. Ich weiß nicht, ist es meine
Jugend oder ist es der schöne leuchtende Sommertag
-- ich kann unsere Lage nicht in dem trüben Lichte
sehen. Ich werde --"

"Mich mit einem reichen und würdigen Mann ver¬

erholt, daß wir uns ſeiner Liebe und Fürſorge gewiß
noch recht lange werden erfreuen können.“

„Das gebe Gott!“ ſagte die Baronin; „aber ich
fürchte, wir müſſen uns auf das Schlimmſte gefaßt
machen. Der Vater iſt keineswegs ſo rüſtig, wie Du
glaubſt. Er kränkelt fortwährend, obgleich er es uns
ſo wenig wie möglich merken läßt. Der Hamburger
Arzt ſchilderte mir des Vaters Zuſtand als ſehr be¬
denklich. Sollte er uns entriſſen werden, dann wür¬
deſt Du leider Gelegenheit erhalten, die Stichhaltigkeit
Deiner Grundſätze zu erproben. Aber, mein Kind,
Du kennſt das Leben nicht. Es läßt ſich leicht von
Armuth ſprechen, wenn man ſie nur von Hörenſagen
kennt. Ich kenne ſie aus Erfahrung; ich war ein
armes Mädchen, als mich Dein Vater heirathete; ich
weiß, was es heißt, ein Kleid wenden und wieder
wenden, weil man kein Geld hat, ein neues zu kaufen;
ich weiß, welchen tauſendfachen Demüthigungen ein
armes Mädchen von Adel ausgeſetzt iſt.“

„Es wird anders und beſſer kommen, als Du
denkſt, theuerſte Mama. Ich weiß nicht, iſt es meine
Jugend oder iſt es der ſchöne leuchtende Sommertag
— ich kann unſere Lage nicht in dem trüben Lichte
ſehen. Ich werde —“

„Mich mit einem reichen und würdigen Mann ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0220" n="210"/>
erholt, daß wir uns &#x017F;einer Liebe und Für&#x017F;orge gewiß<lb/>
noch recht lange werden erfreuen können.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das gebe Gott!&#x201C; &#x017F;agte die Baronin; &#x201E;aber ich<lb/>
fürchte, wir mü&#x017F;&#x017F;en uns auf das Schlimm&#x017F;te gefaßt<lb/>
machen. Der Vater i&#x017F;t keineswegs &#x017F;o rü&#x017F;tig, wie Du<lb/>
glaub&#x017F;t. Er kränkelt fortwährend, obgleich er es uns<lb/>
&#x017F;o wenig wie möglich merken läßt. Der Hamburger<lb/>
Arzt &#x017F;childerte mir des Vaters Zu&#x017F;tand als &#x017F;ehr be¬<lb/>
denklich. Sollte er uns entri&#x017F;&#x017F;en werden, dann wür¬<lb/>
de&#x017F;t Du leider Gelegenheit erhalten, die Stichhaltigkeit<lb/>
Deiner Grund&#x017F;ätze zu erproben. Aber, mein Kind,<lb/>
Du kenn&#x017F;t das Leben nicht. Es läßt &#x017F;ich leicht von<lb/>
Armuth &#x017F;prechen, wenn man &#x017F;ie nur von Hören&#x017F;agen<lb/>
kennt. Ich kenne &#x017F;ie aus Erfahrung; ich war ein<lb/>
armes Mädchen, als mich Dein Vater heirathete; ich<lb/>
weiß, was es heißt, ein Kleid wenden und wieder<lb/>
wenden, weil man kein Geld hat, ein neues zu kaufen;<lb/>
ich weiß, welchen tau&#x017F;endfachen Demüthigungen ein<lb/>
armes Mädchen von Adel ausge&#x017F;etzt i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es wird anders und be&#x017F;&#x017F;er kommen, als Du<lb/>
denk&#x017F;t, theuer&#x017F;te Mama. Ich weiß nicht, i&#x017F;t es meine<lb/>
Jugend oder i&#x017F;t es der &#x017F;chöne leuchtende Sommertag<lb/>
&#x2014; ich kann un&#x017F;ere Lage nicht in dem trüben Lichte<lb/>
&#x017F;ehen. Ich werde &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mich mit einem reichen und würdigen Mann ver¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0220] erholt, daß wir uns ſeiner Liebe und Fürſorge gewiß noch recht lange werden erfreuen können.“ „Das gebe Gott!“ ſagte die Baronin; „aber ich fürchte, wir müſſen uns auf das Schlimmſte gefaßt machen. Der Vater iſt keineswegs ſo rüſtig, wie Du glaubſt. Er kränkelt fortwährend, obgleich er es uns ſo wenig wie möglich merken läßt. Der Hamburger Arzt ſchilderte mir des Vaters Zuſtand als ſehr be¬ denklich. Sollte er uns entriſſen werden, dann wür¬ deſt Du leider Gelegenheit erhalten, die Stichhaltigkeit Deiner Grundſätze zu erproben. Aber, mein Kind, Du kennſt das Leben nicht. Es läßt ſich leicht von Armuth ſprechen, wenn man ſie nur von Hörenſagen kennt. Ich kenne ſie aus Erfahrung; ich war ein armes Mädchen, als mich Dein Vater heirathete; ich weiß, was es heißt, ein Kleid wenden und wieder wenden, weil man kein Geld hat, ein neues zu kaufen; ich weiß, welchen tauſendfachen Demüthigungen ein armes Mädchen von Adel ausgeſetzt iſt.“ „Es wird anders und beſſer kommen, als Du denkſt, theuerſte Mama. Ich weiß nicht, iſt es meine Jugend oder iſt es der ſchöne leuchtende Sommertag — ich kann unſere Lage nicht in dem trüben Lichte ſehen. Ich werde —“ „Mich mit einem reichen und würdigen Mann ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/220
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/220>, abgerufen am 02.05.2024.