deshalb nicht zu glauben, daß sie, oder einer von ihnen, einen besonderen Eindruck auf mich gemacht hätten. Ich habe eine Antipathie gegen Leute in dergleichen untergeordneten Stellungen, wie etwa gegen Kattun¬ kleider oder böhmische Diamanten. Das mag recht gut sein für Bürgermädchen und Gouvernanten, aber für uns paßt es nicht. Ich sehe die Herren des Mittags, des Abends -- im Uebrigen exestiren sie nicht für mich. Herrn Stein begegne ich außerdem noch jeden Morgen früh im Garten, denn die Vögel singen hier so dicht unter meinen Fenstern, daß man aufstehen muß, man mag wollen oder nicht. Ich wäre diesen Begegnungen gern überhoben, aber was läßt sich thun? Ich kann dem armen Menschen, der her¬ nach von sieben bis elf den Knaben Unterricht er¬ theilt, nicht wohl verbieten, die einzige freie Morgen¬ stunde, die er hat, zu benutzen, und wenn ich selbst später ginge, so käme ich wieder um den schönsten Genuß; also: ich muß es mir gefallen lassen -- non son' rose senza spine! Uebrigens ist dieser Stein, trotzdem er nur ein böhmischer Diamant ist, so fein geschliffen, daß ihn ein weniger geübtes Auge leicht mit einem echten verwechseln könnte. Er hat, was man bei Leuten aus den unteren Ständen so selten findet, viel Haltung und Selbstbeherrschung. Er hat
deshalb nicht zu glauben, daß ſie, oder einer von ihnen, einen beſonderen Eindruck auf mich gemacht hätten. Ich habe eine Antipathie gegen Leute in dergleichen untergeordneten Stellungen, wie etwa gegen Kattun¬ kleider oder böhmiſche Diamanten. Das mag recht gut ſein für Bürgermädchen und Gouvernanten, aber für uns paßt es nicht. Ich ſehe die Herren des Mittags, des Abends — im Uebrigen exeſtiren ſie nicht für mich. Herrn Stein begegne ich außerdem noch jeden Morgen früh im Garten, denn die Vögel ſingen hier ſo dicht unter meinen Fenſtern, daß man aufſtehen muß, man mag wollen oder nicht. Ich wäre dieſen Begegnungen gern überhoben, aber was läßt ſich thun? Ich kann dem armen Menſchen, der her¬ nach von ſieben bis elf den Knaben Unterricht er¬ theilt, nicht wohl verbieten, die einzige freie Morgen¬ ſtunde, die er hat, zu benutzen, und wenn ich ſelbſt ſpäter ginge, ſo käme ich wieder um den ſchönſten Genuß; alſo: ich muß es mir gefallen laſſen — non son' rose senza spine! Uebrigens iſt dieſer Stein, trotzdem er nur ein böhmiſcher Diamant iſt, ſo fein geſchliffen, daß ihn ein weniger geübtes Auge leicht mit einem echten verwechſeln könnte. Er hat, was man bei Leuten aus den unteren Ständen ſo ſelten findet, viel Haltung und Selbſtbeherrſchung. Er hat
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deshalb nicht zu glauben, daß ſie, oder einer von ihnen,
einen beſonderen Eindruck auf mich gemacht hätten.
Ich habe eine Antipathie gegen Leute in dergleichen
untergeordneten Stellungen, wie etwa gegen Kattun¬
kleider oder böhmiſche Diamanten. Das mag recht
gut ſein für Bürgermädchen und Gouvernanten, aber
für uns paßt es nicht. Ich ſehe die Herren des
Mittags, des Abends — im Uebrigen exeſtiren ſie
nicht für mich. Herrn Stein begegne ich außerdem
noch jeden Morgen früh im Garten, denn die Vögel
ſingen hier ſo dicht unter meinen Fenſtern, daß man
aufſtehen muß, man mag wollen oder nicht. Ich wäre
dieſen Begegnungen gern überhoben, aber was läßt
ſich thun? Ich kann dem armen Menſchen, der her¬
nach von ſieben bis elf den Knaben Unterricht er¬
theilt, nicht wohl verbieten, die einzige freie Morgen¬
ſtunde, die er hat, zu benutzen, und wenn ich ſelbſt
ſpäter ginge, ſo käme ich wieder um den ſchönſten
Genuß; alſo: ich muß es mir gefallen laſſen — non
son' rose senza spine! Uebrigens iſt dieſer Stein,
trotzdem er nur ein böhmiſcher Diamant iſt, ſo fein
geſchliffen, daß ihn ein weniger geübtes Auge leicht
mit einem echten verwechſeln könnte. Er hat, was
man bei Leuten aus den unteren Ständen ſo ſelten
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/194>, abgerufen am 16.02.2025.
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