Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

den ihm zugeschleuderten Reifen womöglich aufzu¬
fangen?

Ob Fräulein Helene wußte, daß sie die Ursache
aller dieser großen und kleinen Veränderungen war?
Es war sehr schwer, zu sagen, ob Fräulein Helene
etwas bemerkt hatte oder nicht; ja, ob sie sich über
etwas freute oder nicht, ob sie heiter war oder nicht;
ob Jemand in der Gesellschaft für sie vorhanden war,
oder nicht. Ihre stolze ruhige Miene veränderte sich
sehr selten, und das lächeln, zu dem sie sich gelegent¬
lich herabließ, war, obgleich außerordentlich reizend,
doch so flüchtig, daß man nicht wol den Antheil, den
ihr Herz etwa dabei hatte, bestimmen konnte. Sie
war gegen ihre Eltern ganz die gehorsame, aufmerk¬
same Tochter, gegen ihren Bruder die ältere Schwe¬
ster, die, wenn sie die Schwächen des Bruders schonen
soll, auch ihrerseits respectirt zu werden wünscht;
gegen Mademoiselle Marguerite ganz die freundliche
Herrin, die sich in jedem Augenblicke des Unterschiedes
der Stellung bewußt bleibt; gegen Oswald und Albert
ganz die vornehme junge Dame, welche von der Pen¬
sion her noch sehr gut weiß, wie tief die Verbeugung
vor Herren in niedrigeren Lebensstellungen sein muß
und nur für Bruno schien sie eine herzlichere Zu¬
neigung zu haben, nur ihm gegenüber ließ sie ein

den ihm zugeſchleuderten Reifen womöglich aufzu¬
fangen?

Ob Fräulein Helene wußte, daß ſie die Urſache
aller dieſer großen und kleinen Veränderungen war?
Es war ſehr ſchwer, zu ſagen, ob Fräulein Helene
etwas bemerkt hatte oder nicht; ja, ob ſie ſich über
etwas freute oder nicht, ob ſie heiter war oder nicht;
ob Jemand in der Geſellſchaft für ſie vorhanden war,
oder nicht. Ihre ſtolze ruhige Miene veränderte ſich
ſehr ſelten, und das lächeln, zu dem ſie ſich gelegent¬
lich herabließ, war, obgleich außerordentlich reizend,
doch ſo flüchtig, daß man nicht wol den Antheil, den
ihr Herz etwa dabei hatte, beſtimmen konnte. Sie
war gegen ihre Eltern ganz die gehorſame, aufmerk¬
ſame Tochter, gegen ihren Bruder die ältere Schwe¬
ſter, die, wenn ſie die Schwächen des Bruders ſchonen
ſoll, auch ihrerſeits reſpectirt zu werden wünſcht;
gegen Mademoiſelle Marguerite ganz die freundliche
Herrin, die ſich in jedem Augenblicke des Unterſchiedes
der Stellung bewußt bleibt; gegen Oswald und Albert
ganz die vornehme junge Dame, welche von der Pen¬
ſion her noch ſehr gut weiß, wie tief die Verbeugung
vor Herren in niedrigeren Lebensſtellungen ſein muß
und nur für Bruno ſchien ſie eine herzlichere Zu¬
neigung zu haben, nur ihm gegenüber ließ ſie ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0186" n="176"/>
den ihm zuge&#x017F;chleuderten Reifen womöglich aufzu¬<lb/>
fangen?</p><lb/>
        <p>Ob Fräulein Helene wußte, daß &#x017F;ie die Ur&#x017F;ache<lb/>
aller die&#x017F;er großen und kleinen Veränderungen war?<lb/>
Es war &#x017F;ehr &#x017F;chwer, zu &#x017F;agen, ob Fräulein Helene<lb/>
etwas bemerkt hatte oder nicht; ja, ob &#x017F;ie &#x017F;ich über<lb/>
etwas freute oder nicht, ob &#x017F;ie heiter war oder nicht;<lb/>
ob Jemand in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft für &#x017F;ie vorhanden war,<lb/>
oder nicht. Ihre &#x017F;tolze ruhige Miene veränderte &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;elten, und das lächeln, zu dem &#x017F;ie &#x017F;ich gelegent¬<lb/>
lich herabließ, war, obgleich außerordentlich reizend,<lb/>
doch &#x017F;o flüchtig, daß man nicht wol den Antheil, den<lb/>
ihr Herz etwa dabei hatte, be&#x017F;timmen konnte. Sie<lb/>
war gegen ihre Eltern ganz die gehor&#x017F;ame, aufmerk¬<lb/>
&#x017F;ame Tochter, gegen ihren Bruder die ältere Schwe¬<lb/>
&#x017F;ter, die, wenn &#x017F;ie die Schwächen des Bruders &#x017F;chonen<lb/>
&#x017F;oll, auch ihrer&#x017F;eits re&#x017F;pectirt zu werden wün&#x017F;cht;<lb/>
gegen Mademoi&#x017F;elle Marguerite ganz die freundliche<lb/>
Herrin, die &#x017F;ich in jedem Augenblicke des Unter&#x017F;chiedes<lb/>
der Stellung bewußt bleibt; gegen Oswald und Albert<lb/>
ganz die vornehme junge Dame, welche von der Pen¬<lb/>
&#x017F;ion her noch &#x017F;ehr gut weiß, wie tief die Verbeugung<lb/>
vor Herren in niedrigeren Lebens&#x017F;tellungen &#x017F;ein muß<lb/>
und nur für Bruno &#x017F;chien &#x017F;ie eine herzlichere Zu¬<lb/>
neigung zu haben, nur ihm gegenüber ließ &#x017F;ie ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0186] den ihm zugeſchleuderten Reifen womöglich aufzu¬ fangen? Ob Fräulein Helene wußte, daß ſie die Urſache aller dieſer großen und kleinen Veränderungen war? Es war ſehr ſchwer, zu ſagen, ob Fräulein Helene etwas bemerkt hatte oder nicht; ja, ob ſie ſich über etwas freute oder nicht, ob ſie heiter war oder nicht; ob Jemand in der Geſellſchaft für ſie vorhanden war, oder nicht. Ihre ſtolze ruhige Miene veränderte ſich ſehr ſelten, und das lächeln, zu dem ſie ſich gelegent¬ lich herabließ, war, obgleich außerordentlich reizend, doch ſo flüchtig, daß man nicht wol den Antheil, den ihr Herz etwa dabei hatte, beſtimmen konnte. Sie war gegen ihre Eltern ganz die gehorſame, aufmerk¬ ſame Tochter, gegen ihren Bruder die ältere Schwe¬ ſter, die, wenn ſie die Schwächen des Bruders ſchonen ſoll, auch ihrerſeits reſpectirt zu werden wünſcht; gegen Mademoiſelle Marguerite ganz die freundliche Herrin, die ſich in jedem Augenblicke des Unterſchiedes der Stellung bewußt bleibt; gegen Oswald und Albert ganz die vornehme junge Dame, welche von der Pen¬ ſion her noch ſehr gut weiß, wie tief die Verbeugung vor Herren in niedrigeren Lebensſtellungen ſein muß und nur für Bruno ſchien ſie eine herzlichere Zu¬ neigung zu haben, nur ihm gegenüber ließ ſie ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/186
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/186>, abgerufen am 27.04.2024.