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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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waren, mochten allerdings für die Einzelnen sehr ver¬
schieden sein; da aber das Resultat für Alle angenehm
war, so nahm man bereitwilligst für baare Münze,
was der Andere dafür bot -- natürlich, um sich das
Recht zuzusprechen, Jenem mit derselben Münze zu
bezahlen.

Oswald hatte die Begegnung mit Fräulein Helene
am Morgen nicht vergessen und sich des Eindrucks,
den er dabei auf die stolze, junge Dame gemacht haben
mußte, wol bewußt, sah er es nicht ungern, daß ihm
im Laufe des Tages mehr als eine Gelegenheit wurde,
seine natürlichen Vorzüge geltend zu machen. Bei
Tische um eine Erzählung dessen, was ihm während
der Abwesenheit der Familie begegnet war, gebeten,
gab er eine Schilderung seines einsamen Lebens in
Sassitz, wobei er sich eine halb humoristische und halb
sentimentale Rolle zutheilte, natürlich ohne das ro¬
mantische Dunkel, welches über seinem dortigen Auf¬
enthalte lag, im mindesten zu lüften. Die derbe Mutter
Karsten wurde zu einem Heldenweib, ihr rothhaarigen
Töchter Stine und Line zu schönen Wassernixen und
der alte halb blödsinnige Vater Steffen zu einem
weisen Merlin; die Kreidefelsen der Küste wuchsen
in's Ungeheure und die Brandung donnerte zwischen
den Klippen des Strandes mit wahrhaft Ossianischer

waren, mochten allerdings für die Einzelnen ſehr ver¬
ſchieden ſein; da aber das Reſultat für Alle angenehm
war, ſo nahm man bereitwilligſt für baare Münze,
was der Andere dafür bot — natürlich, um ſich das
Recht zuzuſprechen, Jenem mit derſelben Münze zu
bezahlen.

Oswald hatte die Begegnung mit Fräulein Helene
am Morgen nicht vergeſſen und ſich des Eindrucks,
den er dabei auf die ſtolze, junge Dame gemacht haben
mußte, wol bewußt, ſah er es nicht ungern, daß ihm
im Laufe des Tages mehr als eine Gelegenheit wurde,
ſeine natürlichen Vorzüge geltend zu machen. Bei
Tiſche um eine Erzählung deſſen, was ihm während
der Abweſenheit der Familie begegnet war, gebeten,
gab er eine Schilderung ſeines einſamen Lebens in
Saſſitz, wobei er ſich eine halb humoriſtiſche und halb
ſentimentale Rolle zutheilte, natürlich ohne das ro¬
mantiſche Dunkel, welches über ſeinem dortigen Auf¬
enthalte lag, im mindeſten zu lüften. Die derbe Mutter
Karſten wurde zu einem Heldenweib, ihr rothhaarigen
Töchter Stine und Line zu ſchönen Waſſernixen und
der alte halb blödſinnige Vater Steffen zu einem
weiſen Merlin; die Kreidefelſen der Küſte wuchſen
in's Ungeheure und die Brandung donnerte zwiſchen
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[146/0156] waren, mochten allerdings für die Einzelnen ſehr ver¬ ſchieden ſein; da aber das Reſultat für Alle angenehm war, ſo nahm man bereitwilligſt für baare Münze, was der Andere dafür bot — natürlich, um ſich das Recht zuzuſprechen, Jenem mit derſelben Münze zu bezahlen. Oswald hatte die Begegnung mit Fräulein Helene am Morgen nicht vergeſſen und ſich des Eindrucks, den er dabei auf die ſtolze, junge Dame gemacht haben mußte, wol bewußt, ſah er es nicht ungern, daß ihm im Laufe des Tages mehr als eine Gelegenheit wurde, ſeine natürlichen Vorzüge geltend zu machen. Bei Tiſche um eine Erzählung deſſen, was ihm während der Abweſenheit der Familie begegnet war, gebeten, gab er eine Schilderung ſeines einſamen Lebens in Saſſitz, wobei er ſich eine halb humoriſtiſche und halb ſentimentale Rolle zutheilte, natürlich ohne das ro¬ mantiſche Dunkel, welches über ſeinem dortigen Auf¬ enthalte lag, im mindeſten zu lüften. Die derbe Mutter Karſten wurde zu einem Heldenweib, ihr rothhaarigen Töchter Stine und Line zu ſchönen Waſſernixen und der alte halb blödſinnige Vater Steffen zu einem weiſen Merlin; die Kreidefelſen der Küſte wuchſen in's Ungeheure und die Brandung donnerte zwiſchen den Klippen des Strandes mit wahrhaft Oſſianiſcher

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/156>, abgerufen am 27.04.2024.