wenig Berührungspunkte, als ob Sie durch eine Welt getrennt wären; Sie bleiben bei einander, weil Keiner aus diesem oder jenem Grunde das Wort der Trennung sprechen will, bis ein Augenblick kommt, der den Einen und den Andern gebieterisch zur Entschei¬ dung drängt. Habe ich nicht recht?"
"Ich kann es nicht in Abrede stellen."
"Sehen Sie. Und die Sache wird, glaube ich, jetzt noch schlimmer werden."
"Warum jetzt."
"Bis jetzt hatten Sie in diesem Narrenhause nur ein edles Geschöpf, das Sie lieben und bemitleiden konnten: den köstlichen Bruno; jetzt, wenn Sie zu¬ rückkehren, werden Sie noch einen zweiten Clienten, oder vielmehr eine zweite Clientin finden. Ich fürchte, das arme Kind ist, um die erste Rolle in einer Familientragödie zu übernehmen, aus der Idylle ihres Hamburger Pensionats hierher nach Grenwitz ge¬ schleppt worden. Ich fürchte, es steht eine schwere Gewitterwolke über dem schönen Haupt des unglück¬ lichen Mädchens. Sie werden, wie ich Sie kenne, versuchen wollen, den Schlag abzuwenden, und un¬ tröstlich sein, daß Sie es nicht vermögen. Sie blicken mich mit großen Augen fragend an, und ich sehe, daß Sie von den Geheimnissen der Familie, in der Sie
wenig Berührungspunkte, als ob Sie durch eine Welt getrennt wären; Sie bleiben bei einander, weil Keiner aus dieſem oder jenem Grunde das Wort der Trennung ſprechen will, bis ein Augenblick kommt, der den Einen und den Andern gebieteriſch zur Entſchei¬ dung drängt. Habe ich nicht recht?“
„Ich kann es nicht in Abrede ſtellen.“
„Sehen Sie. Und die Sache wird, glaube ich, jetzt noch ſchlimmer werden.“
„Warum jetzt.“
„Bis jetzt hatten Sie in dieſem Narrenhauſe nur ein edles Geſchöpf, das Sie lieben und bemitleiden konnten: den köſtlichen Bruno; jetzt, wenn Sie zu¬ rückkehren, werden Sie noch einen zweiten Clienten, oder vielmehr eine zweite Clientin finden. Ich fürchte, das arme Kind iſt, um die erſte Rolle in einer Familientragödie zu übernehmen, aus der Idylle ihres Hamburger Penſionats hierher nach Grenwitz ge¬ ſchleppt worden. Ich fürchte, es ſteht eine ſchwere Gewitterwolke über dem ſchönen Haupt des unglück¬ lichen Mädchens. Sie werden, wie ich Sie kenne, verſuchen wollen, den Schlag abzuwenden, und un¬ tröſtlich ſein, daß Sie es nicht vermögen. Sie blicken mich mit großen Augen fragend an, und ich ſehe, daß Sie von den Geheimniſſen der Familie, in der Sie
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wenig Berührungspunkte, als ob Sie durch eine
Welt getrennt wären; Sie bleiben bei einander, weil
Keiner aus dieſem oder jenem Grunde das Wort der
Trennung ſprechen will, bis ein Augenblick kommt, der
den Einen und den Andern gebieteriſch zur Entſchei¬
dung drängt. Habe ich nicht recht?“
„Ich kann es nicht in Abrede ſtellen.“
„Sehen Sie. Und die Sache wird, glaube ich,
jetzt noch ſchlimmer werden.“
„Warum jetzt.“
„Bis jetzt hatten Sie in dieſem Narrenhauſe nur
ein edles Geſchöpf, das Sie lieben und bemitleiden
konnten: den köſtlichen Bruno; jetzt, wenn Sie zu¬
rückkehren, werden Sie noch einen zweiten Clienten,
oder vielmehr eine zweite Clientin finden. Ich fürchte,
das arme Kind iſt, um die erſte Rolle in einer
Familientragödie zu übernehmen, aus der Idylle ihres
Hamburger Penſionats hierher nach Grenwitz ge¬
ſchleppt worden. Ich fürchte, es ſteht eine ſchwere
Gewitterwolke über dem ſchönen Haupt des unglück¬
lichen Mädchens. Sie werden, wie ich Sie kenne,
verſuchen wollen, den Schlag abzuwenden, und un¬
tröſtlich ſein, daß Sie es nicht vermögen. Sie blicken
mich mit großen Augen fragend an, und ich ſehe, daß
Sie von den Geheimniſſen der Familie, in der Sie
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/126>, abgerufen am 18.07.2024.
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