seit einem halben Jahrhundert das Wasser fehlte, den Kopf verloren hatte.
Der ganze übrige Raum innerhalb des Walles war mit Gartenanlagen ausgefüllt, die aus der Zeit des Neubaus herrührten und mit ihren geraden Gängen, kunstvoll verschnittenen Taxushecken, Buchsbaumpyra¬ miden und ihren Sandsteingöttern, die allen Regeln der Aesthetik und allen Gesetzen der Anatomie so naiv Hohn sprechen, den Charakter dieser Zeit deutlich genug documentirten. Hier und da freilich war ein Geist der Neuerung in die Anlagen gefahren. Der Buchs hatte seine verkrüppelten Glieder, so gut es gehen wollte, in eine naturgemäße Baumgestalt auszurecken versucht; die beiden Zeiten eines Heckenganges hatten gemeinschaftliche Sache gemacht und sich zu einem un¬ durchdringlichen Gestrüpp vereinigt; ein Gärtner, der für die stumme Sprache von Taxuspyramiden kein Ver¬ ständniß mehr besaß, und eine praktischere Richtung verfolgte, hatte, unbekümmert um den ästhetischen Ein¬ druck, Aepfel-, Birnen-, Kirschen- und Pflaumenbäume gepflanzt, wo er gerade Platz fand, und hier und da seinen Gemüsebeeten den Luxus der Blumenrabatten geopfert. So war die Schwester der Najade im Hof von Himbeer- und Stachelbeersträuchern fast über¬ wuchert, aber sie hatte sich in ihr Schicksal zu finden
ſeit einem halben Jahrhundert das Waſſer fehlte, den Kopf verloren hatte.
Der ganze übrige Raum innerhalb des Walles war mit Gartenanlagen ausgefüllt, die aus der Zeit des Neubaus herrührten und mit ihren geraden Gängen, kunſtvoll verſchnittenen Taxushecken, Buchsbaumpyra¬ miden und ihren Sandſteingöttern, die allen Regeln der Aeſthetik und allen Geſetzen der Anatomie ſo naiv Hohn ſprechen, den Charakter dieſer Zeit deutlich genug documentirten. Hier und da freilich war ein Geiſt der Neuerung in die Anlagen gefahren. Der Buchs hatte ſeine verkrüppelten Glieder, ſo gut es gehen wollte, in eine naturgemäße Baumgeſtalt auszurecken verſucht; die beiden Zeiten eines Heckenganges hatten gemeinſchaftliche Sache gemacht und ſich zu einem un¬ durchdringlichen Geſtrüpp vereinigt; ein Gärtner, der für die ſtumme Sprache von Taxuspyramiden kein Ver¬ ſtändniß mehr beſaß, und eine praktiſchere Richtung verfolgte, hatte, unbekümmert um den äſthetiſchen Ein¬ druck, Aepfel-, Birnen-, Kirſchen- und Pflaumenbäume gepflanzt, wo er gerade Platz fand, und hier und da ſeinen Gemüſebeeten den Luxus der Blumenrabatten geopfert. So war die Schweſter der Najade im Hof von Himbeer- und Stachelbeerſträuchern faſt über¬ wuchert, aber ſie hatte ſich in ihr Schickſal zu finden
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ſeit einem halben Jahrhundert das Waſſer fehlte, den
Kopf verloren hatte.
Der ganze übrige Raum innerhalb des Walles war
mit Gartenanlagen ausgefüllt, die aus der Zeit des
Neubaus herrührten und mit ihren geraden Gängen,
kunſtvoll verſchnittenen Taxushecken, Buchsbaumpyra¬
miden und ihren Sandſteingöttern, die allen Regeln
der Aeſthetik und allen Geſetzen der Anatomie ſo naiv
Hohn ſprechen, den Charakter dieſer Zeit deutlich genug
documentirten. Hier und da freilich war ein Geiſt
der Neuerung in die Anlagen gefahren. Der Buchs
hatte ſeine verkrüppelten Glieder, ſo gut es gehen
wollte, in eine naturgemäße Baumgeſtalt auszurecken
verſucht; die beiden Zeiten eines Heckenganges hatten
gemeinſchaftliche Sache gemacht und ſich zu einem un¬
durchdringlichen Geſtrüpp vereinigt; ein Gärtner, der
für die ſtumme Sprache von Taxuspyramiden kein Ver¬
ſtändniß mehr beſaß, und eine praktiſchere Richtung
verfolgte, hatte, unbekümmert um den äſthetiſchen Ein¬
druck, Aepfel-, Birnen-, Kirſchen- und Pflaumenbäume
gepflanzt, wo er gerade Platz fand, und hier und da
ſeinen Gemüſebeeten den Luxus der Blumenrabatten
geopfert. So war die Schweſter der Najade im Hof
von Himbeer- und Stachelbeerſträuchern faſt über¬
wuchert, aber ſie hatte ſich in ihr Schickſal zu finden
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/46>, abgerufen am 24.11.2024.
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