geschrieben, für mich, dem kein Kissen zu wollüstig, kein Teppich zu weich, keine Speise zu lecker, kein Wein zu kostbar dünkt? für mich, der ich, weit entfernt, mich von diesem Luxus angeeckelt zu finden, ihn nicht hastig und gierig, wie der Sklave seine kurzen Augen¬ blicke der Freiheit, sondern ruhig und bedächtig, durch¬ koste und genieße, ihn hinnehme, wie etwas, das sich eben von selbst versteht, wie etwas, zu dem man ge¬ boren und erzogen ist. Soll die gnädige Frau Baronin Recht haben, die neulich hochmüthig behauptete, von allen sogenannten Volksfreunden früher und jetzt habe nur noch jeder seinen persönlichen Vortheil im Auge gehabt. Der Eine verkaufe seine Grundsätze ein wenig theurer als der Andere -- der Eine lasse sich seine Apostasie mit Geld, ein Zweiter mit Ehrenstellen, ein Anderer wieder anders bezahlen -- das sei aber auch der ganze Unterschied. Damals widersprach ich natürlich lebhaft -- es war gleich zu Anfang meines hiesigen Aufenthalts -- ich weiß nicht, ob ich heute noch dazu den Muth hätte. Denn, mein Freund, ich denke an Marie Antoinette, und denke, wenn eine andere Frau, so schön und so geistreich, wie die unglückliche Königin, eine Frau mit den Augen und dem Schmelz der Stimme und dem Liebreiz, wie -- nun wie mein Ideal, die Frau, die ich lieben könnte, lieben müßte -- zu mir
geſchrieben, für mich, dem kein Kiſſen zu wollüſtig, kein Teppich zu weich, keine Speiſe zu lecker, kein Wein zu koſtbar dünkt? für mich, der ich, weit entfernt, mich von dieſem Luxus angeeckelt zu finden, ihn nicht haſtig und gierig, wie der Sklave ſeine kurzen Augen¬ blicke der Freiheit, ſondern ruhig und bedächtig, durch¬ koſte und genieße, ihn hinnehme, wie etwas, das ſich eben von ſelbſt verſteht, wie etwas, zu dem man ge¬ boren und erzogen iſt. Soll die gnädige Frau Baronin Recht haben, die neulich hochmüthig behauptete, von allen ſogenannten Volksfreunden früher und jetzt habe nur noch jeder ſeinen perſönlichen Vortheil im Auge gehabt. Der Eine verkaufe ſeine Grundſätze ein wenig theurer als der Andere — der Eine laſſe ſich ſeine Apoſtaſie mit Geld, ein Zweiter mit Ehrenſtellen, ein Anderer wieder anders bezahlen — das ſei aber auch der ganze Unterſchied. Damals widerſprach ich natürlich lebhaft — es war gleich zu Anfang meines hieſigen Aufenthalts — ich weiß nicht, ob ich heute noch dazu den Muth hätte. Denn, mein Freund, ich denke an Marie Antoinette, und denke, wenn eine andere Frau, ſo ſchön und ſo geiſtreich, wie die unglückliche Königin, eine Frau mit den Augen und dem Schmelz der Stimme und dem Liebreiz, wie — nun wie mein Ideal, die Frau, die ich lieben könnte, lieben müßte — zu mir
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0228"n="218"/>
geſchrieben, für mich, dem kein Kiſſen zu wollüſtig,<lb/>
kein Teppich zu weich, keine Speiſe zu lecker, kein<lb/>
Wein zu koſtbar dünkt? für mich, der ich, weit entfernt,<lb/>
mich von dieſem Luxus angeeckelt zu finden, ihn nicht<lb/>
haſtig und gierig, wie der Sklave ſeine kurzen Augen¬<lb/>
blicke der Freiheit, ſondern ruhig und bedächtig, durch¬<lb/>
koſte und genieße, ihn hinnehme, wie etwas, das ſich<lb/>
eben von ſelbſt verſteht, wie etwas, zu dem man ge¬<lb/>
boren und erzogen iſt. Soll die gnädige Frau Baronin<lb/>
Recht haben, die neulich hochmüthig behauptete, von<lb/>
allen ſogenannten Volksfreunden früher und jetzt habe<lb/>
nur noch jeder ſeinen perſönlichen Vortheil im Auge<lb/>
gehabt. Der Eine verkaufe ſeine Grundſätze ein wenig<lb/>
theurer als der Andere — der Eine laſſe ſich ſeine<lb/>
Apoſtaſie mit Geld, ein Zweiter mit Ehrenſtellen, ein<lb/>
Anderer wieder anders bezahlen — das ſei aber auch der<lb/>
ganze Unterſchied. Damals widerſprach ich natürlich<lb/>
lebhaft — es war gleich zu Anfang meines hieſigen<lb/>
Aufenthalts — ich weiß nicht, ob ich heute noch dazu<lb/>
den Muth hätte. Denn, mein Freund, ich denke an<lb/>
Marie Antoinette, und denke, wenn eine andere Frau,<lb/>ſo ſchön und ſo geiſtreich, wie die unglückliche Königin,<lb/>
eine Frau mit den Augen und dem Schmelz der Stimme<lb/>
und dem Liebreiz, wie — nun wie mein Ideal, die<lb/>
Frau, die ich lieben könnte, lieben müßte — zu mir<lb/></p></div></body></text></TEI>
[218/0228]
geſchrieben, für mich, dem kein Kiſſen zu wollüſtig,
kein Teppich zu weich, keine Speiſe zu lecker, kein
Wein zu koſtbar dünkt? für mich, der ich, weit entfernt,
mich von dieſem Luxus angeeckelt zu finden, ihn nicht
haſtig und gierig, wie der Sklave ſeine kurzen Augen¬
blicke der Freiheit, ſondern ruhig und bedächtig, durch¬
koſte und genieße, ihn hinnehme, wie etwas, das ſich
eben von ſelbſt verſteht, wie etwas, zu dem man ge¬
boren und erzogen iſt. Soll die gnädige Frau Baronin
Recht haben, die neulich hochmüthig behauptete, von
allen ſogenannten Volksfreunden früher und jetzt habe
nur noch jeder ſeinen perſönlichen Vortheil im Auge
gehabt. Der Eine verkaufe ſeine Grundſätze ein wenig
theurer als der Andere — der Eine laſſe ſich ſeine
Apoſtaſie mit Geld, ein Zweiter mit Ehrenſtellen, ein
Anderer wieder anders bezahlen — das ſei aber auch der
ganze Unterſchied. Damals widerſprach ich natürlich
lebhaft — es war gleich zu Anfang meines hieſigen
Aufenthalts — ich weiß nicht, ob ich heute noch dazu
den Muth hätte. Denn, mein Freund, ich denke an
Marie Antoinette, und denke, wenn eine andere Frau,
ſo ſchön und ſo geiſtreich, wie die unglückliche Königin,
eine Frau mit den Augen und dem Schmelz der Stimme
und dem Liebreiz, wie — nun wie mein Ideal, die
Frau, die ich lieben könnte, lieben müßte — zu mir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/228>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.