seine ganze Stellung sei. Und was hatte ihn in diese Stellung getrieben, wenn nicht seine Freundschaft zu dem Professor Berger, dessen Rath er gegen seine bessere Ueberzeugung gefolgt war? Es fiel ihm ein, daß er den letzten Brief seines wunderlichen Freundes noch nicht beantwortet hatte. So setzte er sich denn wieder hin und schrieb:
"Es giebt kein Unrecht als den Widerspruch" -- das ist, wenn ich mich recht erinnere, eine Ihrer Lieb¬ lingsmaximen, und die Cardinalregel, nach der Sie das Thun und Lassen der Menschen beurtheilen. Nun denn! So hatten Sie doppelt und dreifach Unrecht, mich in diese Situation hineinzureden und hineinzulachen, denn sie ist, wie ich sie auch betrachten mag, aus Wider¬ sprüchen zusammengesetzt. Ich ein Erzieher Anderer, der ich mich selbst noch zu erziehen habe! Ich, der Aristokratenfeind, der Adelshasser in dem Schooße einer aristokratischen Familie -- halb der Freund und halb der Diener der hochadligen Sippe! Und was mich noch abscheulicher dünkt, ist, daß ich an den Genüssen dieses aristokratischen Lebens so harmlos Antheil nehmen kann, als hätte mich nie ein Schauer der Ehrfurcht erfaßt, wenn ich in der Schrift an die Stelle kam: "Der Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege!" Sind diese Worte denn nicht auch für mich
ſeine ganze Stellung ſei. Und was hatte ihn in dieſe Stellung getrieben, wenn nicht ſeine Freundſchaft zu dem Profeſſor Berger, deſſen Rath er gegen ſeine beſſere Ueberzeugung gefolgt war? Es fiel ihm ein, daß er den letzten Brief ſeines wunderlichen Freundes noch nicht beantwortet hatte. So ſetzte er ſich denn wieder hin und ſchrieb:
„Es giebt kein Unrecht als den Widerſpruch“ — das iſt, wenn ich mich recht erinnere, eine Ihrer Lieb¬ lingsmaximen, und die Cardinalregel, nach der Sie das Thun und Laſſen der Menſchen beurtheilen. Nun denn! So hatten Sie doppelt und dreifach Unrecht, mich in dieſe Situation hineinzureden und hineinzulachen, denn ſie iſt, wie ich ſie auch betrachten mag, aus Wider¬ ſprüchen zuſammengeſetzt. Ich ein Erzieher Anderer, der ich mich ſelbſt noch zu erziehen habe! Ich, der Ariſtokratenfeind, der Adelshaſſer in dem Schooße einer ariſtokratiſchen Familie — halb der Freund und halb der Diener der hochadligen Sippe! Und was mich noch abſcheulicher dünkt, iſt, daß ich an den Genüſſen dieſes ariſtokratiſchen Lebens ſo harmlos Antheil nehmen kann, als hätte mich nie ein Schauer der Ehrfurcht erfaßt, wenn ich in der Schrift an die Stelle kam: „Der Menſchen Sohn hat nicht, da er ſein Haupt hinlege!“ Sind dieſe Worte denn nicht auch für mich
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ſeine ganze Stellung ſei. Und was hatte ihn in dieſe
Stellung getrieben, wenn nicht ſeine Freundſchaft zu
dem Profeſſor Berger, deſſen Rath er gegen ſeine
beſſere Ueberzeugung gefolgt war? Es fiel ihm ein,
daß er den letzten Brief ſeines wunderlichen Freundes
noch nicht beantwortet hatte. So ſetzte er ſich denn
wieder hin und ſchrieb:
„Es giebt kein Unrecht als den Widerſpruch“ —
das iſt, wenn ich mich recht erinnere, eine Ihrer Lieb¬
lingsmaximen, und die Cardinalregel, nach der Sie das
Thun und Laſſen der Menſchen beurtheilen. Nun denn!
So hatten Sie doppelt und dreifach Unrecht, mich in
dieſe Situation hineinzureden und hineinzulachen, denn
ſie iſt, wie ich ſie auch betrachten mag, aus Wider¬
ſprüchen zuſammengeſetzt. Ich ein Erzieher Anderer,
der ich mich ſelbſt noch zu erziehen habe! Ich, der
Ariſtokratenfeind, der Adelshaſſer in dem Schooße einer
ariſtokratiſchen Familie — halb der Freund und halb
der Diener der hochadligen Sippe! Und was mich
noch abſcheulicher dünkt, iſt, daß ich an den Genüſſen
dieſes ariſtokratiſchen Lebens ſo harmlos Antheil nehmen
kann, als hätte mich nie ein Schauer der Ehrfurcht
erfaßt, wenn ich in der Schrift an die Stelle kam:
„Der Menſchen Sohn hat nicht, da er ſein Haupt
hinlege!“ Sind dieſe Worte denn nicht auch für mich
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/227>, abgerufen am 25.11.2024.
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