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Spener, Philipp Jakob: Natur und Gnade. Frankfurt (Main), 1687.

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gemüther desto mehr zu sich ziehe/ mitleyden
zu haben/ ihm beyzustehen/ und wieder zu
helffen/ und was dergleichen nutzen von ei-
ner solchen auch eusserlichen gedult gehoffet
werden kan/ aber alles allein von der eigen-
liebe herkommet/ welche sich in einer mensch-
lichen klugheit ihr leyden/ weil es auf ande-
re weise nicht geschehen kan/ auffs wenigste
a ff diese art leichter macht/ in dem sie sich
hütet/ es durch das jenige zu vergrössern/
wodurch es sonsten vergebens/ und also
thörlich vergrössert würde/ und aber döch
die meiste/ so die blosse affecten der ver-
nunfft vortringen lassen/ durch die offen-
bahre ungedult es also zu vergrössern/ und
sich selbs noch mehr zu verwunden pflegen/
wie wir wol sagen mögen/ daß auch natürli-
cher weise das unbequeme und widrige tra-
gen der last/ die man nicht abwerffen kan/
nicht weniger beschwerde ist/ als die blosse
last an sich selbsten: welches die menschliche
vernunfft selbsten begreifft. Weil denn al-
so jene art der gedult/ da nichts freywilliges
in dem leyden ist/ so vielem betrug unter-
worffen/ ja in dem grund des hertzens offt-
mal mehr ungedult und wiederwärtigkeit/
als gedult dabey vorhanden ist/ wiewol wir

doch

gemüther deſto mehr zu ſich ziehe/ mitleyden
zu haben/ ihm beyzuſtehen/ und wieder zu
helffen/ und was dergleichen nutzen von ei-
ner ſolchen auch euſſerlichen gedult gehoffet
werden kan/ aber alles allein von der eigen-
liebe herkom̃et/ welche ſich in einer menſch-
lichen klugheit ihr leyden/ weil es auf ande-
re weiſe nicht geſchehen kan/ auffs wenigſte
a ff dieſe art leichter macht/ in dem ſie ſich
hütet/ es durch das jenige zu vergroͤſſern/
wodurch es ſonſten vergebens/ und alſo
thoͤrlich vergroͤſſert würde/ und aber doͤch
die meiſte/ ſo die bloſſe affecten der ver-
nunfft vortringen laſſen/ durch die offen-
bahre ungedult es alſo zu vergroͤſſern/ und
ſich ſelbs noch mehr zu verwunden pflegen/
wie wir wol ſagen moͤgen/ daß auch natürli-
cher weiſe das unbequeme und widrige tra-
gen der laſt/ die man nicht abwerffen kan/
nicht weniger beſchwerde iſt/ als die bloſſe
laſt an ſich ſelbſten: welches die menſchliche
vernunfft ſelbſten begreifft. Weil denn al-
ſo jene art der gedult/ da nichts freywilliges
in dem leyden iſt/ ſo vielem betrug unter-
worffen/ ja in dem grund des hertzens offt-
mal mehr ungedult und wiederwaͤrtigkeit/
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[224/0286] gemüther deſto mehr zu ſich ziehe/ mitleyden zu haben/ ihm beyzuſtehen/ und wieder zu helffen/ und was dergleichen nutzen von ei- ner ſolchen auch euſſerlichen gedult gehoffet werden kan/ aber alles allein von der eigen- liebe herkom̃et/ welche ſich in einer menſch- lichen klugheit ihr leyden/ weil es auf ande- re weiſe nicht geſchehen kan/ auffs wenigſte a ff dieſe art leichter macht/ in dem ſie ſich hütet/ es durch das jenige zu vergroͤſſern/ wodurch es ſonſten vergebens/ und alſo thoͤrlich vergroͤſſert würde/ und aber doͤch die meiſte/ ſo die bloſſe affecten der ver- nunfft vortringen laſſen/ durch die offen- bahre ungedult es alſo zu vergroͤſſern/ und ſich ſelbs noch mehr zu verwunden pflegen/ wie wir wol ſagen moͤgen/ daß auch natürli- cher weiſe das unbequeme und widrige tra- gen der laſt/ die man nicht abwerffen kan/ nicht weniger beſchwerde iſt/ als die bloſſe laſt an ſich ſelbſten: welches die menſchliche vernunfft ſelbſten begreifft. Weil denn al- ſo jene art der gedult/ da nichts freywilliges in dem leyden iſt/ ſo vielem betrug unter- worffen/ ja in dem grund des hertzens offt- mal mehr ungedult und wiederwaͤrtigkeit/ als gedult dabey vorhanden iſt/ wiewol wir doch

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Natur und Gnade. Frankfurt (Main), 1687, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_natur_1687/286>, abgerufen am 26.11.2024.