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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
zu lassen oder zu verwerffen. So hat der heilige Geist seine ungebundene
hand, daß er die erkäntnüß der schrifft nicht auf einmal, einem, zu einer
zeit gibet, sondern es mag wol dieses ein stück seiner weisesten regierung
seyn, daß er solches stückweise austheilet, und wol jeglicher zeit das ihre
bestimmet, aber immer auch den nachkömlingen ihr liecht vorbehalten hat.
Würde mir also eine grosse vermessenheit vorkommen, wo sich einiger leh-
rer, ja eine versamlung der gesamten gelehrtesten und frömsten lehrer
zu einer zeit, zusammen thun, und eine solche erklärung der schrifft der kir-
chen vorlegen wolten, die eine andere autorität haben solte, als insgemein
alle glossen und commentarii sind, die nichts anders in sich haben, als der
menschen gedancken über den verstand der schrifft, die offt mit der warheit
des heiligen Geistes eintreffen mögen, aber auch mehrmal davon abwei-
chen können, daher sie nimmermehr einigen menschen müssen aufgetrungen
werden, denselben anders beyfall zu geben, als so fern sie aus den angeführ-
ten ursachen von einsehung des textes selbs, daß dieses der rechte sinn des
orts seye, in ihren seelen überzeuget, und also solche warheiten bey ihnen ver-
siegelt werden. Jst nun aber die autorität einiges oder mehrer lehrer nicht
weiter zu erstrecken, und niemand weiter ihnen zu glauben schuldig, als so
viel sie selbs daraus erkennen, so ists nicht unbillig, daß die lehrer, son-
derlich in den schwerern orten, nicht nur ihre eigene gedancken, wie gegrün-
det sie sie auch zu seyn meineten, dem leser vorlegen, sondern auch der andern
auslegungen dabey gedencken, damit derselbe aus vergleichung anderer er-
klärungen so viel gründlicher urtheilen möge. Wir sehen so gar, daß auch
die päbstische kirche, ob sie wol dem Pabst und dessen versamlung die unfehl-
barkeit zuschreibet, sich niemal unternommen habe, dergleichen eine durch-
ausgeltende und vor die einige gewisse auslegung vorlegende erklärung zu
machen, ob wol solches etwa den principiis ihrer religion nicht ungemäß
wäre. Viel weniger solten wir rathen, daß dergleichen eine auslegung un-
ter uns heraus käme, die solchen namen oder nur schein haben möchte; Dar-
durch einige auf eine blinde verlassung und glauben an anderer auslegung,
und also zu einer guten vorbereitung des pabstums gebracht, andern sich
zu widersetzen anlaß gegeben, und dem heiligen Geist gleichsam gesetze vor-
geschrieben werden mit seinem liecht nicht weiter bey andern zu gehen, als
wir etwa mit unserem maaß es erreichet hätten. Jch habe selbs mit eini-
gen andern freunden gearbeitet, und bis an den truck fertig gemacht, an ei-
ner erklärung der gantzen schrifft bloß aus den worten Lutheri, in allen sei-
nen schrifften befindlich, wo nichts als die anhängung unser werck, das ü-
brige aber alles des lieben mannes ist. Jch achte auch, daß die publication
desselben wercks ihrer vielen nicht wenig nutzen geben möchte. Jedoch
wür-
Das ſiebende Capitel.
zu laſſen oder zu verwerffen. So hat der heilige Geiſt ſeine ungebundene
hand, daß er die erkaͤntnuͤß der ſchrifft nicht auf einmal, einem, zu einer
zeit gibet, ſondern es mag wol dieſes ein ſtuͤck ſeiner weiſeſten regierung
ſeyn, daß er ſolches ſtuͤckweiſe austheilet, und wol jeglicher zeit das ihre
beſtimmet, aber immer auch den nachkoͤmlingen ihr liecht vorbehalten hat.
Wuͤrde mir alſo eine groſſe vermeſſenheit vorkommen, wo ſich einiger leh-
rer, ja eine verſamlung der geſamten gelehrteſten und froͤmſten lehrer
zu einer zeit, zuſammen thun, und eine ſolche erklaͤrung der ſchrifft der kir-
chen vorlegen wolten, die eine andere autoritaͤt haben ſolte, als insgemein
alle gloſſen und commentarii ſind, die nichts anders in ſich haben, als der
menſchen gedancken uͤber den verſtand der ſchrifft, die offt mit der warheit
des heiligen Geiſtes eintreffen moͤgen, aber auch mehrmal davon abwei-
chen koͤnnen, daher ſie nimmermehr einigen menſchen muͤſſen aufgetrungen
werden, denſelben anders beyfall zu geben, als ſo fern ſie aus den angefuͤhr-
ten urſachen von einſehung des textes ſelbs, daß dieſes der rechte ſinn des
orts ſeye, in ihren ſeelen uͤberzeuget, und alſo ſolche warheiten bey ihnen ver-
ſiegelt werden. Jſt nun aber die autoritaͤt einiges oder mehrer lehrer nicht
weiter zu erſtrecken, und niemand weiter ihnen zu glauben ſchuldig, als ſo
viel ſie ſelbs daraus erkennen, ſo iſts nicht unbillig, daß die lehrer, ſon-
derlich in den ſchwerern orten, nicht nur ihre eigene gedancken, wie gegruͤn-
det ſie ſie auch zu ſeyn meineten, dem leſer vorlegen, ſondern auch der andern
auslegungen dabey gedencken, damit derſelbe aus vergleichung anderer er-
klaͤrungen ſo viel gruͤndlicher urtheilen moͤge. Wir ſehen ſo gar, daß auch
die paͤbſtiſche kirche, ob ſie wol dem Pabſt und deſſen verſamlung die unfehl-
barkeit zuſchreibet, ſich niemal unternommen habe, dergleichen eine durch-
ausgeltende und vor die einige gewiſſe auslegung vorlegende erklaͤrung zu
machen, ob wol ſolches etwa den principiis ihrer religion nicht ungemaͤß
waͤre. Viel weniger ſolten wir rathen, daß dergleichen eine auslegung un-
ter uns heraus kaͤme, die ſolchen namen oder nur ſchein haben moͤchte; Dar-
durch einige auf eine blinde verlaſſung und glauben an anderer auslegung,
und alſo zu einer guten vorbereitung des pabſtums gebracht, andern ſich
zu widerſetzen anlaß gegeben, und dem heiligen Geiſt gleichſam geſetze vor-
geſchrieben werden mit ſeinem liecht nicht weiter bey andern zu gehen, als
wir etwa mit unſerem maaß es erreichet haͤtten. Jch habe ſelbs mit eini-
gen andern freunden gearbeitet, und bis an den truck fertig gemacht, an ei-
ner erklaͤrung der gantzen ſchrifft bloß aus den worten Lutheri, in allen ſei-
nen ſchrifften befindlich, wo nichts als die anhaͤngung unſer werck, das uͤ-
brige aber alles des lieben mannes iſt. Jch achte auch, daß die publication
deſſelben wercks ihrer vielen nicht wenig nutzen geben moͤchte. Jedoch
wuͤr-
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[78/0090] Das ſiebende Capitel. zu laſſen oder zu verwerffen. So hat der heilige Geiſt ſeine ungebundene hand, daß er die erkaͤntnuͤß der ſchrifft nicht auf einmal, einem, zu einer zeit gibet, ſondern es mag wol dieſes ein ſtuͤck ſeiner weiſeſten regierung ſeyn, daß er ſolches ſtuͤckweiſe austheilet, und wol jeglicher zeit das ihre beſtimmet, aber immer auch den nachkoͤmlingen ihr liecht vorbehalten hat. Wuͤrde mir alſo eine groſſe vermeſſenheit vorkommen, wo ſich einiger leh- rer, ja eine verſamlung der geſamten gelehrteſten und froͤmſten lehrer zu einer zeit, zuſammen thun, und eine ſolche erklaͤrung der ſchrifft der kir- chen vorlegen wolten, die eine andere autoritaͤt haben ſolte, als insgemein alle gloſſen und commentarii ſind, die nichts anders in ſich haben, als der menſchen gedancken uͤber den verſtand der ſchrifft, die offt mit der warheit des heiligen Geiſtes eintreffen moͤgen, aber auch mehrmal davon abwei- chen koͤnnen, daher ſie nimmermehr einigen menſchen muͤſſen aufgetrungen werden, denſelben anders beyfall zu geben, als ſo fern ſie aus den angefuͤhr- ten urſachen von einſehung des textes ſelbs, daß dieſes der rechte ſinn des orts ſeye, in ihren ſeelen uͤberzeuget, und alſo ſolche warheiten bey ihnen ver- ſiegelt werden. Jſt nun aber die autoritaͤt einiges oder mehrer lehrer nicht weiter zu erſtrecken, und niemand weiter ihnen zu glauben ſchuldig, als ſo viel ſie ſelbs daraus erkennen, ſo iſts nicht unbillig, daß die lehrer, ſon- derlich in den ſchwerern orten, nicht nur ihre eigene gedancken, wie gegruͤn- det ſie ſie auch zu ſeyn meineten, dem leſer vorlegen, ſondern auch der andern auslegungen dabey gedencken, damit derſelbe aus vergleichung anderer er- klaͤrungen ſo viel gruͤndlicher urtheilen moͤge. Wir ſehen ſo gar, daß auch die paͤbſtiſche kirche, ob ſie wol dem Pabſt und deſſen verſamlung die unfehl- barkeit zuſchreibet, ſich niemal unternommen habe, dergleichen eine durch- ausgeltende und vor die einige gewiſſe auslegung vorlegende erklaͤrung zu machen, ob wol ſolches etwa den principiis ihrer religion nicht ungemaͤß waͤre. Viel weniger ſolten wir rathen, daß dergleichen eine auslegung un- ter uns heraus kaͤme, die ſolchen namen oder nur ſchein haben moͤchte; Dar- durch einige auf eine blinde verlaſſung und glauben an anderer auslegung, und alſo zu einer guten vorbereitung des pabſtums gebracht, andern ſich zu widerſetzen anlaß gegeben, und dem heiligen Geiſt gleichſam geſetze vor- geſchrieben werden mit ſeinem liecht nicht weiter bey andern zu gehen, als wir etwa mit unſerem maaß es erreichet haͤtten. Jch habe ſelbs mit eini- gen andern freunden gearbeitet, und bis an den truck fertig gemacht, an ei- ner erklaͤrung der gantzen ſchrifft bloß aus den worten Lutheri, in allen ſei- nen ſchrifften befindlich, wo nichts als die anhaͤngung unſer werck, das uͤ- brige aber alles des lieben mannes iſt. Jch achte auch, daß die publication deſſelben wercks ihrer vielen nicht wenig nutzen geben moͤchte. Jedoch wuͤr-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/90>, abgerufen am 22.11.2024.