Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. I. SECTIO XV. würde nimmer die intention seyn, daß man solchen erklärungen allemalfolgen müßte, ja wann es diese absicht bey jemanden nur gewinnen solte, würde mich selbs alle angewandte müh reuen: Als der ich selbs an folchem theuren werckzeug GOTTes in vielen stücken ein unvergleichliches liecht an- treffe, aber vieles auch finde, wo ich mich versichere, daß er den sinn des hei- ligen Geistes nicht zur gnüge erkant habe. 5. Die Gedächtnüs-wörter, um den inhalt jeglicher capitel der Bibel zu behalten/ und den gesammten dazu angegebenen methodum be- langend, bekenne ich offenhertzig, daß ich dergleichen weder fassen, noch belie- ben könte. Aufs wenigste würde es eine gantz sonderbare disposition des ingenii seyn müssen, die dazu beqvem wäre. Jch habe ein und andere der- gleichen dinge gesehen, wie die historien und andere solche sachen den leuten sind eingebildet worden/ sie solten mir aber, und wol andern von meiner bewandnüß etwa eher die phantasie verrücket, als das gedächtnüß gestär- cket haben. Jedoch lasse ich solches gern den jenigen, die eine geschicklichkeit dazu bey sich befinden, und eine hülffe davon empfinden. Jch würde, wie schwer sonsten meine memorie daran kömmt, etwas auswendig zu lernen, gleichwol eher schlechter dings etwas memoriren, als durch dergleichen symbolische wort. Aber die jenige gedächtnüß mittel achte ich vor diensa- mer, wo das judicium zu der sache etwas hilfft/ und also wo man disposi- tiones über die gantze bücher und capitel machen könte, wie eines aus dem an- dern fliesset, oder an einander hänget, da man die sach also sich eintruckte, daß folglich das judicium allemal die dinge selbs wiederum suggerirte. 6. Nicht andere gedancken hätte ich auch von den gedächtnüß-sprü- chen, über die Grammatic Wasmuthi gemacht, daß mich nemlich deucht, sie solten wol schwerer seyn, als die wort selbsten, die sich einzutrucken die- selbe gemacht worden. Mich deuchtet sonderlich was dergleichen exceptio- nes oder worte anlanget, bey welchen etwas sonderes observiret wird, es lassen sich dieselben besser usu lernen. Jch weiß mich zu erinnern, in der la- teinischen Grammatic viel verse gelernet zu haben von exceptionibus und der gleichen, deren ich schwerlich mehr einen einigen wüßte, aber was dieselbe in sich haben, vielmehr ex usu als aus den gelerneten versen behalten habe. Ein der methodischen art kündiger freund, welchem ich communication hie- von gethan, antwortete mir also: Die inventiones derer biblischen ca- pitel inhalt in das gedächtnüß so wol mit neu erdichteten wun- derlichen gedächtnüß-wörtern, als in der original-sprach auftze- setzten
ARTIC. I. SECTIO XV. wuͤrde nimmer die intention ſeyn, daß man ſolchen erklaͤrungen allemalfolgen muͤßte, ja wann es dieſe abſicht bey jemanden nur gewinnen ſolte, wuͤrde mich ſelbs alle angewandte muͤh reuen: Als der ich ſelbs an folchem theuren werckzeug GOTTes in vielen ſtuͤcken ein unvergleichliches liecht an- treffe, aber vieles auch finde, wo ich mich verſichere, daß er den ſinn des hei- ligen Geiſtes nicht zur gnuͤge erkant habe. 5. Die Gedaͤchtnuͤs-woͤrter, um den inhalt jeglicher capitel der Bibel zu behalten/ und den geſammten dazu angegebenen methodum be- langend, bekenne ich offenhertzig, daß ich dergleichen weder faſſen, noch belie- ben koͤnte. Aufs wenigſte wuͤrde es eine gantz ſonderbare diſpoſition des ingenii ſeyn muͤſſen, die dazu beqvem waͤre. Jch habe ein und andere der- gleichen dinge geſehen, wie die hiſtorien und andere ſolche ſachen den leuten ſind eingebildet worden/ ſie ſolten mir aber, und wol andern von meiner bewandnuͤß etwa eher die phantaſie verruͤcket, als das gedaͤchtnuͤß geſtaͤr- cket haben. Jedoch laſſe ich ſolches gern den jenigen, die eine geſchicklichkeit dazu bey ſich befinden, und eine huͤlffe davon empfinden. Jch wuͤrde, wie ſchwer ſonſten meine memorie daran koͤmmt, etwas auswendig zu lernen, gleichwol eher ſchlechter dings etwas memoriren, als durch dergleichen ſymboliſche wort. Aber die jenige gedaͤchtnuͤß mittel achte ich vor dienſa- mer, wo das judicium zu der ſache etwas hilfft/ und alſo wo man diſpoſi- tiones uͤbeꝛ die gantze buͤcheꝛ und capitel machen koͤnte, wie eines aus dem an- dern flieſſet, oder an einander haͤnget, da man die ſach alſo ſich eintruckte, daß folglich das judicium allemal die dinge ſelbs wiederum ſuggerirte. 6. Nicht andere gedancken haͤtte ich auch von den gedaͤchtnuͤß-ſpruͤ- chen, uͤbeꝛ die Grammatic Waſmuthi gemacht, daß mich nemlich deucht, ſie ſolten wol ſchwerer ſeyn, als die wort ſelbſten, die ſich einzutrucken die- ſelbe gemacht worden. Mich deuchtet ſonderlich was dergleichen exceptio- nes oder worte anlanget, bey welchen etwas ſonderes obſerviret wird, es laſſen ſich dieſelben beſſer uſu lernen. Jch weiß mich zu erinnern, in der la- teiniſchen Grammatic viel verſe gelernet zu haben von exceptionibus und der gleichen, deren ich ſchwerlich mehr einen einigen wuͤßte, aber was dieſelbe in ſich haben, vielmehr ex uſu als aus den gelerneten verſen behalten habe. Ein der methodiſchen aꝛt kuͤndigeꝛ fꝛeund, welchem ich communication hie- von gethan, antwortete mir alſo: Die inventiones derer bibliſchen ca- pitel inhalt in das gedaͤchtnuͤß ſo wol mit neu erdichteten wun- derlichen gedaͤchtnuͤß-woͤrtern, als in der original-ſprach auftze- ſetzten
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ARTIC. I. SECTIO XV.
wuͤrde nimmer die intention ſeyn, daß man ſolchen erklaͤrungen allemal
folgen muͤßte, ja wann es dieſe abſicht bey jemanden nur gewinnen ſolte,
wuͤrde mich ſelbs alle angewandte muͤh reuen: Als der ich ſelbs an folchem
theuren werckzeug GOTTes in vielen ſtuͤcken ein unvergleichliches liecht an-
treffe, aber vieles auch finde, wo ich mich verſichere, daß er den ſinn des hei-
ligen Geiſtes nicht zur gnuͤge erkant habe.
5. Die Gedaͤchtnuͤs-woͤrter, um den inhalt jeglicher capitel der
Bibel zu behalten/ und den geſammten dazu angegebenen methodum be-
langend, bekenne ich offenhertzig, daß ich dergleichen weder faſſen, noch belie-
ben koͤnte. Aufs wenigſte wuͤrde es eine gantz ſonderbare diſpoſition des
ingenii ſeyn muͤſſen, die dazu beqvem waͤre. Jch habe ein und andere der-
gleichen dinge geſehen, wie die hiſtorien und andere ſolche ſachen den leuten
ſind eingebildet worden/ ſie ſolten mir aber, und wol andern von meiner
bewandnuͤß etwa eher die phantaſie verruͤcket, als das gedaͤchtnuͤß geſtaͤr-
cket haben. Jedoch laſſe ich ſolches gern den jenigen, die eine geſchicklichkeit
dazu bey ſich befinden, und eine huͤlffe davon empfinden. Jch wuͤrde, wie
ſchwer ſonſten meine memorie daran koͤmmt, etwas auswendig zu lernen,
gleichwol eher ſchlechter dings etwas memoriren, als durch dergleichen
ſymboliſche wort. Aber die jenige gedaͤchtnuͤß mittel achte ich vor dienſa-
mer, wo das judicium zu der ſache etwas hilfft/ und alſo wo man diſpoſi-
tiones uͤbeꝛ die gantze buͤcheꝛ und capitel machen koͤnte, wie eines aus dem an-
dern flieſſet, oder an einander haͤnget, da man die ſach alſo ſich eintruckte,
daß folglich das judicium allemal die dinge ſelbs wiederum ſuggerirte.
6. Nicht andere gedancken haͤtte ich auch von den gedaͤchtnuͤß-ſpruͤ-
chen, uͤbeꝛ die Grammatic Waſmuthi gemacht, daß mich nemlich deucht, ſie
ſolten wol ſchwerer ſeyn, als die wort ſelbſten, die ſich einzutrucken die-
ſelbe gemacht worden. Mich deuchtet ſonderlich was dergleichen exceptio-
nes oder worte anlanget, bey welchen etwas ſonderes obſerviret wird, es
laſſen ſich dieſelben beſſer uſu lernen. Jch weiß mich zu erinnern, in der la-
teiniſchen Grammatic viel verſe gelernet zu haben von exceptionibus und
der gleichen, deren ich ſchwerlich mehr einen einigen wuͤßte, aber was dieſelbe
in ſich haben, vielmehr ex uſu als aus den gelerneten verſen behalten habe.
Ein der methodiſchen aꝛt kuͤndigeꝛ fꝛeund, welchem ich communication hie-
von gethan, antwortete mir alſo: Die inventiones derer bibliſchen ca-
pitel inhalt in das gedaͤchtnuͤß ſo wol mit neu erdichteten wun-
derlichen gedaͤchtnuͤß-woͤrtern, als in der original-ſprach auftze-
ſetzten
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