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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
dero glieder aber unterschiedlich gesinnet gewesen, insgesamt schwache, wiewol auch
solches nach unterschiedlichen graden, Judas aber einer ihm nach seiner allwissen-
heit bekanter gottloser zum vorbilde, was es vor eine bewandnüß mit seiner kirchen
hier in dieser zeit auf erden haben, und wie sich in deroselben allezeit eine vermischung
der guten und bösen finden werde: die er noch nicht bis zur zeit der erndte völ-
lig von einander trennen will. Daß aber derselbe in zweiffel ziehen will, ob Ju-
das bey solchem ersten Abendmahl gewesen, wunderts mich: dann ob ich auf
eines allegirten anonymi argumenten, die mir nicht bekant, nicht antworten
kan, so reden doch die 3. Evangelisten so deutlich darvon, daß Judas mit dabey
zugegen gewesen, und es also mit genossen habe, daß auch keine wahrscheinlich-
keit finde, solches vor ungewiß zu halten. Will man entgegen setzen, was Joh.
XIII. 30.
von Judä weggehen gemeldet wird, ist der einwurff viel zu schwach,
als jene harmonie aufzuheben. Dabey mich erinnere, daß in der in Halle mit
vorsetzung Jac. Usseri namens nachgedruckten Harmonia gesetzet wird, daß das
Abendmahl, dabey das fußwaschen vorgegangen, und von dem Judas aufgestan-
den, zwey tag vor dem Heil. Abendmahl des Osterlams und eingesetzten sacra-
ments gehalten worden seye: und also dieser Evangelist von einer gantz andern
historie als die übrigen drey handele. Ob aber auch nach der gemeinen zusammen-
setzung ein einig abendmahl daraus gemacht wird, ist doch bisher gnugsam gezeigt,
daß was die drey Evangelisten sagen, von dem vierten nicht aufgehoben werde.
Jch halte auch in solcher sache sehr wichtig, daß die antiquitaet einmüthig den Ju-
dam des letzten abendmahls theilhafftig worden zu seyn bezeuget, welches in einer
historischen frage nicht gering zu halten. 2. Was ferner die übrigen worte der
einsetzung, solches thut, anlangt, bekenne, daß dieselbe zu behauptung dieses sa-
tzes nicht dienen, ich würde sie auch zu solchem zweck nicht anführen, indessen he-
ben sie auch die sache nicht auf. Und folget nicht, die unwürdigen können den tod
des HERRN nicht heilsamlich verkündigen oder dessen gedencken, E. können sie
auch dasjenige nicht thun, was zu solcher heilsamen gedächtnüß rechtes wegen
gerichtet werden solte. Wol aber folget, daß sie zu schwerer ihrer verantwor-
tung dasjenige ihnen nehmen, damit sie in solchem stand nicht nach göttlicher absicht
umzugehen vermögen. 3. Deutlicher aber ist der spruch 1. Cor. X. 16. daß
das brod und der kelch die gemeinschafft des leibes und des blutes CHristi seye,
welches am einfältigsten also genommen wird, sie (brod und wein) seyen dasjenige
mittel, dadurch die die selbe empfangen des leibes und blutes CHristi theilhaff-
tig werden. Also wird nicht der glaube zur gemeinschafft oder mittel der theilhaff-
tig-werdung gemacht, in welchem fall die ohne glauben hinzugehen, auch solche gü-
ter nicht empfangen könten, sondern brod und wein sind selbs die gemeinschafft oder
dero mittel, daher wer jener theilhaftig wird, dem können diese nicht entstehen: oder je-
ne wären nicht die gemeinschafft, sondern es müste ein ander mittel gesucht werden.

Daß

Das ſiebende Capitel.
dero glieder aber unterſchiedlich geſinnet geweſen, insgeſamt ſchwache, wiewol auch
ſolches nach unterſchiedlichen graden, Judas aber einer ihm nach ſeiner allwiſſen-
heit bekanter gottloſer zum vorbilde, was es vor eine bewandnuͤß mit ſeiner kirchen
hier in dieſer zeit auf erden haben, und wie ſich in deroſelben allezeit eine vermiſchung
der guten und boͤſen finden werde: die er noch nicht bis zur zeit der erndte voͤl-
lig von einander trennen will. Daß aber derſelbe in zweiffel ziehen will, ob Ju-
das bey ſolchem erſten Abendmahl geweſen, wunderts mich: dann ob ich auf
eines allegirten anonymi argumenten, die mir nicht bekant, nicht antworten
kan, ſo reden doch die 3. Evangeliſten ſo deutlich darvon, daß Judas mit dabey
zugegen geweſen, und es alſo mit genoſſen habe, daß auch keine wahrſcheinlich-
keit finde, ſolches vor ungewiß zu halten. Will man entgegen ſetzen, was Joh.
XIII. 30.
von Judaͤ weggehen gemeldet wird, iſt der einwurff viel zu ſchwach,
als jene harmonie aufzuheben. Dabey mich erinnere, daß in der in Halle mit
vorſetzung Jac. Uſſeri namens nachgedruckten Harmonia geſetzet wird, daß das
Abendmahl, dabey das fußwaſchen vorgegangen, und von dem Judas aufgeſtan-
den, zwey tag vor dem Heil. Abendmahl des Oſterlams und eingeſetzten ſacra-
ments gehalten worden ſeye: und alſo dieſer Evangeliſt von einer gantz andern
hiſtorie als die uͤbrigen drey handele. Ob aber auch nach der gemeinen zuſammen-
ſetzung ein einig abendmahl daraus gemacht wird, iſt doch bisher gnugſam gezeigt,
daß was die drey Evangeliſten ſagen, von dem vierten nicht aufgehoben werde.
Jch halte auch in ſolcher ſache ſehr wichtig, daß die antiquitæt einmuͤthig den Ju-
dam des letzten abendmahls theilhafftig worden zu ſeyn bezeuget, welches in einer
hiſtoriſchen frage nicht gering zu halten. 2. Was ferner die uͤbrigen worte der
einſetzung, ſolches thut, anlangt, bekenne, daß dieſelbe zu behauptung dieſes ſa-
tzes nicht dienen, ich wuͤrde ſie auch zu ſolchem zweck nicht anfuͤhren, indeſſen he-
ben ſie auch die ſache nicht auf. Und folget nicht, die unwuͤrdigen koͤnnen den tod
des HERRN nicht heilſamlich verkuͤndigen oder deſſen gedencken, E. koͤnnen ſie
auch dasjenige nicht thun, was zu ſolcher heilſamen gedaͤchtnuͤß rechtes wegen
gerichtet werden ſolte. Wol aber folget, daß ſie zu ſchwerer ihrer verantwor-
tung dasjenige ihnen nehmen, damit ſie in ſolchem ſtand nicht nach goͤttlicheꝛ abſicht
umzugehen vermoͤgen. 3. Deutlicher aber iſt der ſpruch 1. Cor. X. 16. daß
das brod und der kelch die gemeinſchafft des leibes und des blutes CHriſti ſeye,
welches am einfaͤltigſten alſo genommen wird, ſie (brod und wein) ſeyen dasjenige
mittel, dadurch die die ſelbe empfangen des leibes und blutes CHriſti theilhaff-
tig werden. Alſo wird nicht der glaube zur gemeinſchafft oder mittel der theilhaff-
tig-werdung gemacht, in welchem fall die ohne glauben hinzugehen, auch ſolche guͤ-
ter nicht empfangen koͤnten, ſondern brod und wein ſind ſelbs die gemeinſchafft oder
deꝛo mittel, daher weꝛ jeneꝛ theilhaftig wiꝛd, dem koͤnnen dieſe nicht entſtehen: oder je-
ne waͤren nicht die gemeinſchafft, ſondern es muͤſte ein ander mittel geſucht werden.

Daß
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[722/0734] Das ſiebende Capitel. dero glieder aber unterſchiedlich geſinnet geweſen, insgeſamt ſchwache, wiewol auch ſolches nach unterſchiedlichen graden, Judas aber einer ihm nach ſeiner allwiſſen- heit bekanter gottloſer zum vorbilde, was es vor eine bewandnuͤß mit ſeiner kirchen hier in dieſer zeit auf erden haben, und wie ſich in deroſelben allezeit eine vermiſchung der guten und boͤſen finden werde: die er noch nicht bis zur zeit der erndte voͤl- lig von einander trennen will. Daß aber derſelbe in zweiffel ziehen will, ob Ju- das bey ſolchem erſten Abendmahl geweſen, wunderts mich: dann ob ich auf eines allegirten anonymi argumenten, die mir nicht bekant, nicht antworten kan, ſo reden doch die 3. Evangeliſten ſo deutlich darvon, daß Judas mit dabey zugegen geweſen, und es alſo mit genoſſen habe, daß auch keine wahrſcheinlich- keit finde, ſolches vor ungewiß zu halten. Will man entgegen ſetzen, was Joh. XIII. 30. von Judaͤ weggehen gemeldet wird, iſt der einwurff viel zu ſchwach, als jene harmonie aufzuheben. Dabey mich erinnere, daß in der in Halle mit vorſetzung Jac. Uſſeri namens nachgedruckten Harmonia geſetzet wird, daß das Abendmahl, dabey das fußwaſchen vorgegangen, und von dem Judas aufgeſtan- den, zwey tag vor dem Heil. Abendmahl des Oſterlams und eingeſetzten ſacra- ments gehalten worden ſeye: und alſo dieſer Evangeliſt von einer gantz andern hiſtorie als die uͤbrigen drey handele. Ob aber auch nach der gemeinen zuſammen- ſetzung ein einig abendmahl daraus gemacht wird, iſt doch bisher gnugſam gezeigt, daß was die drey Evangeliſten ſagen, von dem vierten nicht aufgehoben werde. Jch halte auch in ſolcher ſache ſehr wichtig, daß die antiquitæt einmuͤthig den Ju- dam des letzten abendmahls theilhafftig worden zu ſeyn bezeuget, welches in einer hiſtoriſchen frage nicht gering zu halten. 2. Was ferner die uͤbrigen worte der einſetzung, ſolches thut, anlangt, bekenne, daß dieſelbe zu behauptung dieſes ſa- tzes nicht dienen, ich wuͤrde ſie auch zu ſolchem zweck nicht anfuͤhren, indeſſen he- ben ſie auch die ſache nicht auf. Und folget nicht, die unwuͤrdigen koͤnnen den tod des HERRN nicht heilſamlich verkuͤndigen oder deſſen gedencken, E. koͤnnen ſie auch dasjenige nicht thun, was zu ſolcher heilſamen gedaͤchtnuͤß rechtes wegen gerichtet werden ſolte. Wol aber folget, daß ſie zu ſchwerer ihrer verantwor- tung dasjenige ihnen nehmen, damit ſie in ſolchem ſtand nicht nach goͤttlicheꝛ abſicht umzugehen vermoͤgen. 3. Deutlicher aber iſt der ſpruch 1. Cor. X. 16. daß das brod und der kelch die gemeinſchafft des leibes und des blutes CHriſti ſeye, welches am einfaͤltigſten alſo genommen wird, ſie (brod und wein) ſeyen dasjenige mittel, dadurch die die ſelbe empfangen des leibes und blutes CHriſti theilhaff- tig werden. Alſo wird nicht der glaube zur gemeinſchafft oder mittel der theilhaff- tig-werdung gemacht, in welchem fall die ohne glauben hinzugehen, auch ſolche guͤ- ter nicht empfangen koͤnten, ſondern brod und wein ſind ſelbs die gemeinſchafft oder deꝛo mittel, daher weꝛ jeneꝛ theilhaftig wiꝛd, dem koͤnnen dieſe nicht entſtehen: oder je- ne waͤren nicht die gemeinſchafft, ſondern es muͤſte ein ander mittel geſucht werden. Daß

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 722. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/734>, abgerufen am 22.11.2024.