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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. IV. SECTIO XXXVI.
beharrlich muthwillige sünder fallen/ und sie also hinreissen wolle/ aber beyne-
benst und zum fördersten/ daß dem sünder ordentlicher weise die gnadenthür bis
an sein ende offen stehen/ und er auch nach mehrmal wiederholten muthwilli-
gen fünden gleichwol noch von göttlicher barmhertzigkeit nicht ausgeschlossen
seyn solle; als welche nicht etliche stunden/ sondern den gantzen tag/ ihre
hände ausstrecket/ nicht zu einem solchen volck/ welches die einmalige empfan-
gene gnade forgfältig suchet nicht wieder zu verliehren/ sondern wie der prophet
Esaias sagt 65/ 2. zu einem volck, das ungehorsam ist, und seinen gedan-
cken nachwandelt, auf einem wege, der nicht gut ist.
Diese gnaden-zeit
aber will dergleichen gebet abkurtzen/ und der mensch ihm selbs gewisses ziel setzen/
über welches GOtt ihm nicht ferner gnädig seyn solle/ welches gerade wider gött-
lichen gnädigen willen streitet. Jch leugne zwar nicht/ daß zu weilen bey ein und
andern/ als wir das exempel an Pharao haben/ die gnadenzeit noch in diesem
leben aus ist/ und nach übermachter boßheit göttliches gericht über einen solchen
menschen gefallen ist/ daß er nicht wiederum bekehret werden mag/ nachdem er
in die verstockung aus gerechtem urtheil gefallen ist/ und daraus nicht wiederum
sich retten kan/ weil göttliche gnade nicht wiederum aufs neue bey einem solchen
menschen/ welcher deroselben lang gespottet gehabt/ anklopffen will. Aber bey
welchen GOtt solche zeit der gnaden verkürtzet/ und sie nunmehr in solch gericht der
verdamnüß fallen habe lassen/ ist uns nicht geoffenbaret; daher wir viel mehr nach
dem allgemeinen geoffenbarten göttlichen willen von jeglichem/ auch den bösesten/
menschen zu hoffen haben/ die buß-thür stehe ihm noch offen: deswegen wir auch
vor desselben heyl (ausser dem fall der sünde zu dem tod/ in dem verstand wie
Johannes davon schreibet 1. ep. 5/ 16. und also der sunde in den Heil. Geist/ wie die
meiste lehrer den ort also nehmen) immer noch zu beten haben: ob auch schon/ wie
bey Pharao geschehen/ das gericht der verdamnüß bereits auf ihm lieget/ und
nunmehr GOtt voluntate consequenti ihn nicht weiter selig machen will: daher
es scheinen solte/ unser gebet gehe alsdenn wider GOttes wille/ da es doch
eigentlich nicht darwider gehet/ indem wir zwar in solchem gebet dasjemge wollen/
was GOtt nun nicht mehr will/ aber doch will/ daß wir solches wollen sollen. Wo ich
dann schuldig bin/ so gar um gnade noch vor die jenige zu bitten/ über die göttliches
gericht bereits ergangen/ aber noch nicht geoffenbaret ist/ weil mein gebet
den geoffenbarten göttlichen willen/ da die hoffnung des heils allen offen ge-
lassen wird/ dadurch gemäß ist: so habe ich so vielmehr ursache/ vielmehr
zu bitten/ daß auch mir oder andern neben mir die gnadenzeit länger offen ge-
lassen/
ARTIC. IV. SECTIO XXXVI.
beharrlich muthwillige ſuͤnder fallen/ und ſie alſo hinreiſſen wolle/ aber beyne-
benſt und zum foͤrderſten/ daß dem ſuͤnder ordentlicher weiſe die gnadenthuͤr bis
an ſein ende offen ſtehen/ und er auch nach mehrmal wiederholten muthwilli-
gen fuͤnden gleichwol noch von goͤttlicher barmhertzigkeit nicht ausgeſchloſſen
ſeyn ſolle; als welche nicht etliche ſtunden/ ſondern den gantzen tag/ ihre
haͤnde ausſtrecket/ nicht zu einem ſolchen volck/ welches die einmalige empfan-
gene gnade forgfaͤltig ſuchet nicht wieder zu verliehren/ ſondern wie der prophet
Eſaias ſagt 65/ 2. zu einem volck, das ungehorſam iſt, und ſeinen gedan-
cken nachwandelt, auf einem wege, der nicht gut iſt.
Dieſe gnaden-zeit
aber will dergleichen gebet abkurtzen/ und der menſch ihm ſelbs gewiſſes ziel ſetzen/
uͤber welches GOtt ihm nicht ferner gnaͤdig ſeyn ſolle/ welches gerade wider goͤtt-
lichen gnaͤdigen willen ſtreitet. Jch leugne zwar nicht/ daß zu weilen bey ein und
andern/ als wir das exempel an Pharao haben/ die gnadenzeit noch in dieſem
leben aus iſt/ und nach uͤbermachter boßheit goͤttliches gericht uͤber einen ſolchen
menſchen gefallen iſt/ daß er nicht wiederum bekehret werden mag/ nachdem er
in die verſtockung aus gerechtem urtheil gefallen iſt/ und daraus nicht wiederum
ſich retten kan/ weil goͤttliche gnade nicht wiederum aufs neue bey einem ſolchen
menſchen/ welcher deroſelben lang geſpottet gehabt/ anklopffen will. Aber bey
welchen GOtt ſolche zeit der gnaden verkuͤrtzet/ und ſie nunmehr in ſolch gericht der
verdamnuͤß fallen habe laſſen/ iſt uns nicht geoffenbaret; daher wir viel mehr nach
dem allgemeinen geoffenbarten goͤttlichen willen von jeglichem/ auch den boͤſeſten/
menſchen zu hoffen haben/ die buß-thuͤr ſtehe ihm noch offen: deswegen wir auch
vor deſſelben heyl (auſſer dem fall der ſuͤnde zu dem tod/ in dem verſtand wie
Johannes davon ſchreibet 1. ep. 5/ 16. und alſo der ſunde in den Heil. Geiſt/ wie die
meiſte lehrer den ort alſo nehmen) immer noch zu beten haben: ob auch ſchon/ wie
bey Pharao geſchehen/ das gericht der verdamnuͤß bereits auf ihm lieget/ und
nunmehr GOtt voluntate conſequenti ihn nicht weiter ſelig machen will: daher
es ſcheinen ſolte/ unſer gebet gehe alsdenn wider GOttes wille/ da es doch
eigentlich nicht darwider gehet/ indem wir zwar in ſolchem gebet dasjemge wollen/
was GOtt nun nicht mehr will/ aber doch will/ daß wiꝛ ſolches wollen ſollen. Wo ich
dann ſchuldig bin/ ſo gar um gnade noch vor die jenige zu bitten/ uͤber die goͤttliches
gericht bereits ergangen/ aber noch nicht geoffenbaret iſt/ weil mein gebet
den geoffenbarten goͤttlichen willen/ da die hoffnung des heils allen offen ge-
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[519/0531] ARTIC. IV. SECTIO XXXVI. beharrlich muthwillige ſuͤnder fallen/ und ſie alſo hinreiſſen wolle/ aber beyne- benſt und zum foͤrderſten/ daß dem ſuͤnder ordentlicher weiſe die gnadenthuͤr bis an ſein ende offen ſtehen/ und er auch nach mehrmal wiederholten muthwilli- gen fuͤnden gleichwol noch von goͤttlicher barmhertzigkeit nicht ausgeſchloſſen ſeyn ſolle; als welche nicht etliche ſtunden/ ſondern den gantzen tag/ ihre haͤnde ausſtrecket/ nicht zu einem ſolchen volck/ welches die einmalige empfan- gene gnade forgfaͤltig ſuchet nicht wieder zu verliehren/ ſondern wie der prophet Eſaias ſagt 65/ 2. zu einem volck, das ungehorſam iſt, und ſeinen gedan- cken nachwandelt, auf einem wege, der nicht gut iſt. Dieſe gnaden-zeit aber will dergleichen gebet abkurtzen/ und der menſch ihm ſelbs gewiſſes ziel ſetzen/ uͤber welches GOtt ihm nicht ferner gnaͤdig ſeyn ſolle/ welches gerade wider goͤtt- lichen gnaͤdigen willen ſtreitet. Jch leugne zwar nicht/ daß zu weilen bey ein und andern/ als wir das exempel an Pharao haben/ die gnadenzeit noch in dieſem leben aus iſt/ und nach uͤbermachter boßheit goͤttliches gericht uͤber einen ſolchen menſchen gefallen iſt/ daß er nicht wiederum bekehret werden mag/ nachdem er in die verſtockung aus gerechtem urtheil gefallen iſt/ und daraus nicht wiederum ſich retten kan/ weil goͤttliche gnade nicht wiederum aufs neue bey einem ſolchen menſchen/ welcher deroſelben lang geſpottet gehabt/ anklopffen will. Aber bey welchen GOtt ſolche zeit der gnaden verkuͤrtzet/ und ſie nunmehr in ſolch gericht der verdamnuͤß fallen habe laſſen/ iſt uns nicht geoffenbaret; daher wir viel mehr nach dem allgemeinen geoffenbarten goͤttlichen willen von jeglichem/ auch den boͤſeſten/ menſchen zu hoffen haben/ die buß-thuͤr ſtehe ihm noch offen: deswegen wir auch vor deſſelben heyl (auſſer dem fall der ſuͤnde zu dem tod/ in dem verſtand wie Johannes davon ſchreibet 1. ep. 5/ 16. und alſo der ſunde in den Heil. Geiſt/ wie die meiſte lehrer den ort alſo nehmen) immer noch zu beten haben: ob auch ſchon/ wie bey Pharao geſchehen/ das gericht der verdamnuͤß bereits auf ihm lieget/ und nunmehr GOtt voluntate conſequenti ihn nicht weiter ſelig machen will: daher es ſcheinen ſolte/ unſer gebet gehe alsdenn wider GOttes wille/ da es doch eigentlich nicht darwider gehet/ indem wir zwar in ſolchem gebet dasjemge wollen/ was GOtt nun nicht mehr will/ aber doch will/ daß wiꝛ ſolches wollen ſollen. Wo ich dann ſchuldig bin/ ſo gar um gnade noch vor die jenige zu bitten/ uͤber die goͤttliches gericht bereits ergangen/ aber noch nicht geoffenbaret iſt/ weil mein gebet den geoffenbarten goͤttlichen willen/ da die hoffnung des heils allen offen ge- laſſen wird/ dadurch gemaͤß iſt: ſo habe ich ſo vielmehr urſache/ vielmehr zu bitten/ daß auch mir oder andern neben mir die gnadenzeit laͤnger offen ge- laſſen/

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/531>, abgerufen am 16.06.2024.