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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
lassen/ und nicht/ wo ich noch einmal muthwillig sundige/ mir abgeschnitten seyn
solle. Dann GOTT will je/ daß ich seiner gnade noch auch bis auf das letzte
solle begierig seyn. Und also welches gebet diese zeit kürtzer einschräncket/ ist nicht
nach GOTTES willen gethan/ und also sündlich. Also GOTT wil/ daß
keine sünder/ und also auch nicht die offt rückfälligen/ verlohren werden/ sondern
zur busse kehren; also daß auch ich/ wo ich nochmal solte zu rückfallen/ und muth-
willig sündigen/ mich widerum bekehren solle/ daher er mich noch durch sein wort
locken lässt. Wider diesen willen muß mein gebet nicht gerichtet werden.
2. Alles unser gebet solle geschehen in dem namen unsers HERREN JE-
su CHristi Joh. 16/ 23. und also was wir bitten/ muß sich alles gründen auf das
verdienst solches unsers liebsten Heylandes. Dieses gebet aber/ wo ich mit der
condition bete/ GOTT möchte zwar noch diesesmal mir gnade erweisen/ aber
auf das künfftige/ wo ich wiederum muthwillig sündigen solte/ wolte ich mich sei-
ner gnade begeben/ und kein theil mehr daran haben/ gründet sich nicht auf das
verdienst CHristi/ als dessen krafft nicht allein auf ein und andere sunden-fälle
sondern auf alle sich erstrecket. Vielmehr streitets wider solch verdienst/ schmä-
het dasselbe/ und setzet ihm engere schrancken. Jndem der mensch zwar noch die-
sesmal nach dem evangelio der gutthaten CHristi begehret zu geniessen/ nach dem
aber/ wo ers nochmal verderbet haben würde/ solle er unter des gesetzes fluch al-
so liegen bleiben/ daß die ewige erlösung CHristi/ an ihm nicht mehr solle weiter
krafft haben. Daher ich solches gebet nicht aus wahrem glauben zu CHristo
oder in seinem namen thun kan/ welches seinem amt entgegen gehet.
3. Vornemlich fasset solche bedingung des gebets in sich eine unwissenheit
menschlicher schwachheit und des teufels boßheit. Wir wissen/ daß auch die
glaubige fleisch und blut an sich haben/ und zwar also/ daß dieselbige nur allzu
starck und kräfftig sich noch bey ihnen befinden/ und bald diese bald jene schwach-
heit-sünde bey ihnen zu wege bringe. Nun ist nichts leichters/ als daß der mensch
anfangs zwar in schwachheit-sunden falle/ aber daß aus solchen sunden nachmal
boßhafftige und muthwillige fünden werden. Also daß die allermeiste grobe
und vorsetzliche fünden erstlich von menschlichen schwachheit-fehlern den anfang
genommen/ nach den bekanten worten: Nemo repente fit pessimus. Bey
David wars erst müßiggang und fürwitz/ darnach lüsternes anschauen der sich
waschenden Bathseba/ worauf aber die böse lust immer stärcker worden/ bis
endlich aus der ersten schwachheit-sunde die greulichste laster wider das 5. und
6. gebot erfolget. So sind ferner auch nicht nur muthwillige fünden diejenige
die mit offenbarster boßheit und unentschuldbaren erkantlichen vorsatz gesche-
ben/
Das ſiebende Capitel.
laſſen/ und nicht/ wo ich noch einmal muthwillig ſundige/ mir abgeſchnitten ſeyn
ſolle. Dann GOTT will je/ daß ich ſeiner gnade noch auch bis auf das letzte
ſolle begierig ſeyn. Und alſo welches gebet dieſe zeit kuͤrtzer einſchraͤncket/ iſt nicht
nach GOTTES willen gethan/ und alſo ſuͤndlich. Alſo GOTT wil/ daß
keine ſuͤnder/ und alſo auch nicht die offt ruͤckfaͤlligen/ verlohren werden/ ſondern
zur buſſe kehren; alſo daß auch ich/ wo ich nochmal ſolte zu ruͤckfallen/ und muth-
willig ſuͤndigen/ mich widerum bekehren ſolle/ daher er mich noch durch ſein wort
locken laͤſſt. Wider dieſen willen muß mein gebet nicht gerichtet werden.
2. Alles unſer gebet ſolle geſchehen in dem namen unſers HERREN JE-
ſu CHriſti Joh. 16/ 23. und alſo was wir bitten/ muß ſich alles gruͤnden auf das
verdienſt ſolches unſers liebſten Heylandes. Dieſes gebet aber/ wo ich mit der
condition bete/ GOTT moͤchte zwar noch dieſesmal mir gnade erweiſen/ aber
auf das kuͤnfftige/ wo ich wiederum muthwillig ſuͤndigen ſolte/ wolte ich mich ſei-
ner gnade begeben/ und kein theil mehr daran haben/ gruͤndet ſich nicht auf das
verdienſt CHriſti/ als deſſen krafft nicht allein auf ein und andere ſunden-faͤlle
ſondern auf alle ſich erſtrecket. Vielmehr ſtreitets wider ſolch verdienſt/ ſchmaͤ-
het daſſelbe/ und ſetzet ihm engere ſchrancken. Jndem der menſch zwar noch die-
ſesmal nach dem evangelio der gutthaten CHriſti begehret zu genieſſen/ nach dem
aber/ wo ers nochmal verderbet haben wuͤrde/ ſolle er unter des geſetzes fluch al-
ſo liegen bleiben/ daß die ewige erloͤſung CHriſti/ an ihm nicht mehr ſolle weiter
krafft haben. Daher ich ſolches gebet nicht aus wahrem glauben zu CHriſto
oder in ſeinem namen thun kan/ welches ſeinem amt entgegen gehet.
3. Vornemlich faſſet ſolche bedingung des gebets in ſich eine unwiſſenheit
menſchlicher ſchwachheit und des teufels boßheit. Wir wiſſen/ daß auch die
glaubige fleiſch und blut an ſich haben/ und zwar alſo/ daß dieſelbige nur allzu
ſtarck und kraͤfftig ſich noch bey ihnen befinden/ und bald dieſe bald jene ſchwach-
heit-ſuͤnde bey ihnen zu wege bringe. Nun iſt nichts leichters/ als daß der menſch
anfangs zwar in ſchwachheit-ſunden falle/ aber daß aus ſolchen ſunden nachmal
boßhafftige und muthwillige fuͤnden werden. Alſo daß die allermeiſte grobe
und vorſetzliche fuͤnden erſtlich von menſchlichen ſchwachheit-fehlern den anfang
genommen/ nach den bekanten worten: Nemo repente fit peſſimus. Bey
David wars erſt muͤßiggang und fuͤrwitz/ darnach luͤſternes anſchauen der ſich
waſchenden Bathſeba/ worauf aber die boͤſe luſt immer ſtaͤrcker worden/ bis
endlich aus der erſten ſchwachheit-ſunde die greulichſte laſter wider das 5. und
6. gebot erfolget. So ſind ferner auch nicht nur muthwillige fuͤnden diejenige
die mit offenbarſter boßheit und unentſchuldbaren erkantlichen vorſatz geſche-
ben/
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[520/0532] Das ſiebende Capitel. laſſen/ und nicht/ wo ich noch einmal muthwillig ſundige/ mir abgeſchnitten ſeyn ſolle. Dann GOTT will je/ daß ich ſeiner gnade noch auch bis auf das letzte ſolle begierig ſeyn. Und alſo welches gebet dieſe zeit kuͤrtzer einſchraͤncket/ iſt nicht nach GOTTES willen gethan/ und alſo ſuͤndlich. Alſo GOTT wil/ daß keine ſuͤnder/ und alſo auch nicht die offt ruͤckfaͤlligen/ verlohren werden/ ſondern zur buſſe kehren; alſo daß auch ich/ wo ich nochmal ſolte zu ruͤckfallen/ und muth- willig ſuͤndigen/ mich widerum bekehren ſolle/ daher er mich noch durch ſein wort locken laͤſſt. Wider dieſen willen muß mein gebet nicht gerichtet werden. 2. Alles unſer gebet ſolle geſchehen in dem namen unſers HERREN JE- ſu CHriſti Joh. 16/ 23. und alſo was wir bitten/ muß ſich alles gruͤnden auf das verdienſt ſolches unſers liebſten Heylandes. Dieſes gebet aber/ wo ich mit der condition bete/ GOTT moͤchte zwar noch dieſesmal mir gnade erweiſen/ aber auf das kuͤnfftige/ wo ich wiederum muthwillig ſuͤndigen ſolte/ wolte ich mich ſei- ner gnade begeben/ und kein theil mehr daran haben/ gruͤndet ſich nicht auf das verdienſt CHriſti/ als deſſen krafft nicht allein auf ein und andere ſunden-faͤlle ſondern auf alle ſich erſtrecket. Vielmehr ſtreitets wider ſolch verdienſt/ ſchmaͤ- het daſſelbe/ und ſetzet ihm engere ſchrancken. Jndem der menſch zwar noch die- ſesmal nach dem evangelio der gutthaten CHriſti begehret zu genieſſen/ nach dem aber/ wo ers nochmal verderbet haben wuͤrde/ ſolle er unter des geſetzes fluch al- ſo liegen bleiben/ daß die ewige erloͤſung CHriſti/ an ihm nicht mehr ſolle weiter krafft haben. Daher ich ſolches gebet nicht aus wahrem glauben zu CHriſto oder in ſeinem namen thun kan/ welches ſeinem amt entgegen gehet. 3. Vornemlich faſſet ſolche bedingung des gebets in ſich eine unwiſſenheit menſchlicher ſchwachheit und des teufels boßheit. Wir wiſſen/ daß auch die glaubige fleiſch und blut an ſich haben/ und zwar alſo/ daß dieſelbige nur allzu ſtarck und kraͤfftig ſich noch bey ihnen befinden/ und bald dieſe bald jene ſchwach- heit-ſuͤnde bey ihnen zu wege bringe. Nun iſt nichts leichters/ als daß der menſch anfangs zwar in ſchwachheit-ſunden falle/ aber daß aus ſolchen ſunden nachmal boßhafftige und muthwillige fuͤnden werden. Alſo daß die allermeiſte grobe und vorſetzliche fuͤnden erſtlich von menſchlichen ſchwachheit-fehlern den anfang genommen/ nach den bekanten worten: Nemo repente fit peſſimus. Bey David wars erſt muͤßiggang und fuͤrwitz/ darnach luͤſternes anſchauen der ſich waſchenden Bathſeba/ worauf aber die boͤſe luſt immer ſtaͤrcker worden/ bis endlich aus der erſten ſchwachheit-ſunde die greulichſte laſter wider das 5. und 6. gebot erfolget. So ſind ferner auch nicht nur muthwillige fuͤnden diejenige die mit offenbarſter boßheit und unentſchuldbaren erkantlichen vorſatz geſche- ben/

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/532>, abgerufen am 22.11.2024.